Wozu führt Putin einen Krieg in der Ukraine?

von Boris Nemzow, für Ukrainische Prawda
01.09.2014
Übersetzt aus dem Englischen von Dagmar Schatz für Voices of Ukraine

Auf den ersten Blick, aus der Sicht des psychisch gesunden Menschen, ist der Krieg zwischen Russland und Ukraine ein Alptraum, Wahnsinn, welcher für alle nur Leid, Konflikte und Probleme bringt.

Noch vor einem halben Jahr erschien dies absolut unrealistisch. Die Feindschaft zwischen zwei Völker zu entzünden, welche durch jahrhundertelange gemeinsame Geschichte verbunden sind, schafft nur der Feind der Russen und der Ukrainer.

Aber der Ablauf der Geschehnisse zeigt, dass es sich um ein höchst alptraumhaftes und blutiges Drehbuch des Brüder tötendes Krieges handelt. Das ist nicht unser Krieg, das ist nicht euer Krieg, das ist nicht der Krieg der zwanzigjährigen Fallschirmjäger. Das ist Putins Krieg.

Wozu braucht er diesen Krieg?

Er selbst hat schon auf diese Frage geantwortet: „Man muss die Verhandlungen über die politische Organisation der Gesellschaft und die Staatsbildung im Süd-Osten der Ukraine beginnen“. Er hat diese Erklärung erst jetzt gemacht, aber solche Aktivitäten, wie Entsendung der Separatisten, Waffenlieferungen, sein dringlicher Wunsch, Poroschenko dazu zu zwingen, die Verhandlungen mit den Putin-treuen Schläger – viele davon russische Staatsbürger – aufzunehmen, dies alles verriet seine Absichten lange Zeit vor seiner öffentlichen Zugeständnis.

Die Worte von Peskow, gleich nach Putins Äußerung hinterhergeschickt, man hätte Putin falsch verstanden, darf man nicht ernst nehmen. Er redet meist Unfug. Etwa, Putin sei mit Russland verheiratet… Russisch lesen können wir ohne ihn. Noch einmal. Putin: „Man muss die Verhandlungen über die politische Organisation der Gesellschaft und die Staatsbildung im Süd-Osten der Ukraine beginnen“. Zitatende.

Die Teilung der Ukraine gab es öffentlich als ein Ziel bis dato nicht, stellvertretend wurde eine sogenannte Idee der Föderalisierung aufgestellt. Die Heuchelei des Kremls besteht darin, dass man versucht, der Ukraine und dem ukrainischen Volk das aufzuzwingen, was den russischen Staatsbürgern selbst fehlt.

Russland ist schon lange (seit 2004) kein föderaler Staat mehr. Zaghafte Versuche, regionale Interessen – in erster Linie finanzielle – durchzusetzen werden aufs Härteste unterdrückt. Putin strebt also Teilung der Ukraine und Schaffung im Osten des Landes eines Marionettenstaates Noworossija, unter voller Kontrolle des Kreml – wirtschaftlich sowie politisch – an. Die Kontrolle über die Stahlindustrie und über die Rüstungsindustrie im Ostens der Ukraine ist für seinen Klan immens wichtig. Außerdem ist der Süd-Osten der Ukraine reich an Schiefergas, und dessen Fördern würde Wettbewerb zur Putins Gesellschaft „Gazprom“ schaffen. Schlechte Saison auf der Krim – niedrige Touristenzahlen, Preissteigerungen für Dienstleistungen und Nahrungsmittel, Mangel an Trinkwasser – zwingt zur Annexion des Süd-Ostens der Ukraine, um den Zugang zur Halbinsel zu schaffen.

Um diese Ziele zu erreichen, schickt Putin die Armee, inklusive Fallschirmjäger und Kadyrow-Söldner, liefert Waffen und Kampftechnik in den Osten der Ukraine. Um diese Ziele zu erreichen hat er Russland zur Isolation und zu Sanktionen geführt. Wegen dieser schwachsinnigen Ziele sterben Russen und Ukrainer. Und Russland versinkt in der Lüge, Gewalt und imperialer Hysterie.

Das alles könnte man leicht damit erklären, dass er psychisch krank ist. Viele denken manchmal so, inklusive des Autors dieses Artikels.

Es gibt aber auch andere Erklärung.

In seinem blutigen Handeln, im Entfachen des Brüder tötenden Krieges kann man sein Hauptziel erblicken – die Erhaltung der persönlichen Macht und des Geldes um jeden Preis.

Bis zum Anfang des Krieges sank die Zahl seiner Anhänger langsam, aber stetig. Die Gesellschaft – trotz der Zensur – verstand: an der Macht sind gierige, unmoralische Menschen, derer Hauptziel die persönliche Bereicherung ist. Die Partei der Diebe verlor ihre Stellungen und man brauchte eine großformatige Erschütterung, um diese Tendenz zu brechen. Und welche die Popularität und Vertrauen wieder herstellen würde.

In der Ukraine gab es den Beispiel der antikriminellen Revolution, infolge derer der Präsident/Dieb entmachtet wurde. Ach was, ihr habt euch getraut, auf die Straße zu gehen und den Präsidenten zu entmachten? Dafür muss Ukraine bestraft werden! Damit die Russen um Gottes Willen nicht auf die gleiche Idee kommen würden.

Außerdem hat die Ukraine einen europäischen Weg, und damit Hoheit des Gesetzes, die Demokratie und den regelmäßigen Wechsel der Macht, gewählt. Der Erfolg der Ukraine darin hat direkt Putins Machtsystem bedroht.

Putin hat die entgegengesetzte Richtung gewählt– den Kurs des lebenslangen Machterhalts, der Willkür und der Korruption. Jetzt, um nicht hinter die Gitter wegen der Verletzung des Grundgesetzes der russischen Föderation zu kommen – wegen des Einmarsches in ein anderes Land, ohne die Zustimmung des Föderationsrates der RF, und wegen der Verletzung der internationalen Verpflichtungen der russischen Föderation bezüglich der Nichtverbreitung der Atomwaffen – wegen der Verletzung des Budapester Memorandums, Putin hat für sich keinen anderen Ausweg gelassen als Präsident bis zu seinem Tode zu bleiben.

Äußerlich ist sein Verhalten – ein Wahnsinn, und in der Wirklichkeit – eine kalte Strategie der lebenslangen Despotie. Die Anhänger der „Russischen Welt“ erklären die Aggression Putins in Bezug auf die Ukraine damit, dass die postsowjetischen Republiken, inkl. Ukraine, eine Zone der lebenswichtigen Interessen Russlands bilden. Anstatt des Beispiels der Hoheit des Gesetzes, der Sicherheit, der Entwicklung und des hohen Lebensniveaus werden in die Köpfe der Menschen Konzepte der groben Gewalt und Drohung gesetzt.

Damit erreicht man das Gegenteil.

Die Ukraine strebt nun den NATO-Beitritt an, obwohl sie vor dem Krieg einen blockfreien Status hatte. Die NATO selbst ist stärker als früher geworden. Außerdem hat Putin’sche Aggression das ukrainische Volk zusammengeschweißt, der Kampf um die Unabhängigkeit und territoriale Integrität wurde zur nationalen Idee. Das heißt, keine der von Putin angestrebten Ziele ist erreicht worden. Alles geschieht genau umgekehrt.

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2 Responses to Wozu führt Putin einen Krieg in der Ukraine?

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