Eine Replik des ukrainischen Publizisten Vitali Portnikow auf eine Kolumne von Anton Olejnik bei Wedomosti.ru
In den Moskauer „Wedomosti“ las ich eine hervorragende Kolumne von Anton Olejnik (Link zur deutschen Übersetzung) über die faschistische Gefahr in Russland. Doch eigentlich ist das gar keine Vorhersage, sondern eine bereits eingetretene Prognose. Der Autor schrieb über die Möglichkeit der Errichtung einer faschistischen Diktatur in Russland und ist der Meinung, dass diese sowohl von der Elite, als auch in der von den demokratischen Institutionen und dem internationalen Recht enttäuschten Gesellschaft unterstützt werden würde. Doch genau das ist bereits passiert. Im Russland von heute gibt es praktisch keine demokratischen Institutionen mehr. Es gibt hier kein Parlament, kein unabhängiges Gericht, keine kommunale Selbstverwaltung, von der freien Presse sind nur Fetzen übrig – und genau deswegen sind die „Wedomosti“ vermutlich gezwungen, über einen möglichen Faschismus in der Zukunft zu schreiben, und nicht über den Faschismus der Gegenwart. Das Parteiensystem ist nach der Krim ebenfalls endgültig liquidiert. „Einiges Russland“, „Gerechtes Russland“, die „Liberal-demokratische Partei Russlands“ und die „Kommunistische Partei der Russischen Föderation“ könnten sich jederzeit zu irgendeiner national-sozialistischen Arbeiterpartei Russlands zusammenschließen. Es würde alle nur freuen. Denn schließlich, ich darf daran erinnern, richteten sich die Demonstrationen auf dem Bolotnaja-Platz, ja gerade gegen Fälschungen der Ergebnisse der Parlamentswahlen, das heißt, es wurde angenommen, dass die Anzahl der für irgendein „Gerechtes Russland“ abgegebenen Stimmen irgendeine Bedeutung gehabt hätten. Die Opposition ist als „Fünfte Kolonne“ diskreditiert. Das Big Business finanziert ¬– genau wie im Dritten Reich – Projekte der Machthaber. Einen Führer gibt es auch. Was fehlt da denn noch. Ach ja. Anton Olejnik schreibt: „Faschismus als soziale Erscheinung bezeichnet das Unvermögen, die eigenen Interessen gegenüber der Umgebung anders als durch Einsatz von Gewalt durchzusetzen. Er verbreitet sich parallel mit der Negation der in der Innen- und Außenpolitik bestehenden formalen Institutionen. Faschismus ist, wenn die Diskussion am wichtigsten Punkt beendet wird und die Waffen sprechen. Dass Russland in der Außenpolitik auf Gewalt setzt, hat sich zunächst während des Konflikts in Südossetien und jetzt in der Ukraine gezeigt. Seine Interesse und seine Bereitschaft, diese mit Gewalt durchzusetzen, hat Russland zunächst etwas schüchtern erklärt – es versteckte die Erkennungszeichen auf den Uniformen der Soldaten und dem Kriegsgerät –, doch es erklärt sie zunehmend offen.“Russland ist ein klassischer faschistischer Staat, und die Ideologie des Hitlerismus wird von der Mehrheit seiner Bewohner geteilt und unterstützt.
Deswegen darf man sich keinen Illusionen hingeben. Russland ist ein klassischer faschistischer Staat, und die Ideologie des Hitlerismus wird von der Mehrheit der Bevölkerung geteilt und unterstützt. Und das ist nicht erst heute und nicht erst gestern geschehen ¬– vor der Gefahr einer derartigen Entwicklung der Ereignisse habe ich bereits im Jahre 1999 gewarnt. Russland hat einfach vor der Kulisse des Maidan endgültig seine Maske fallen lassen, und darauf haben zunächst wir (Ukrainer) und danach die ganze restliche Welt den scheußlichen Anblick der gefletschten Zähne des russischen Staats gesehen. Davon, dass der Faschismus unter Losungen des Kampfes gegen den Faschismus aufgebaut wird, darf sich niemand täuschen lassen. Wie Anton Olejnik treffend anmerkt, hat sich Hitler auch nicht als Faschist bezeichnet. Er war ein Nationalsozialist. Seine Staatsideologie wurde erst später als eine Variante des Faschismus klassifiziert – und das russische Staatswesen unter Putin ist genau dieselbe Variante. Nicht mehr, aber auch nicht weniger.
In der Geschichte gab es praktisch keine Fälle, in denen ein faschistisches Regime modernisiert werden konnte. Höchstens vielleicht Spanien nach Franko, aber El Caudillo war kein klassischer Faschist, er hatte lediglich die Falangisten in sein politisches System eingebaut. Das ist ungefähr so, wie Putin in sein bereits faschistisches System die Kommunisten eingebaut hat. Ein faschistisches Regime aber kann nur sterben. Unter welchen Umständen es stirbt – das wird der Gang der Geschichte zeigen.
Vitali Portnikow, 14.02.2015, auf espreso.tv
Aus dem Russischen von: Tobias Ernst – Fachtexte vom Profi
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Faschisten streben immer ein totalitäres Staatsgefüge an, dessen Strukturen auf primitiver Macht und Unterdrückung beruhen. Den meisten Menschen innerhalb des Systems soll ein äußerst beschränktes Denk- und Handlungsspektrum aufgezwungen werden, damit das Selbstwertgefühl und die Einflussnahme der Herrschenden nicht gefährdet wird. Lebensvielfalt läuft dem einfältigen Faschismus stark zuwider, denn Faschisten fehlt es in der Regel an Mut zur Gelassenheit und an Toleranz, wie die Geschichte und Gegenwart an unzähligen Beispielen zeigten bzw. zeigen.