Charis Haska: Offener Leserbrief an die FAZ

Charis Haska: Offener Leserbrief an die FAZ

Quelle: https://www.facebook.com/charis.haska/posts/605177986215563?stream_ref=10

Sehr geehrte Damen und Herren,

mit Dankbarkeit habe ich wahrgenommen, dass Sie mit Ihrem Artikel „Ukraine: Vier Autoren im Gespräch“ (http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/buecher/themen/ukraine-vier-autoren-im-gespraech-die-da-oben-duerfen-alles-alle-anderen-duerfen-nichts-12788663.html) im Feuilleton der gegenwärtigen Situation in der Ukraine viel Platz eingeräumt haben. Als Deutsche, die seit viereinhalb Jahren vor Ort lebt, und zwar weniger als fünfzehn Minuten zu Fuß vom Maidan (mein Mann dürfte Ihnen durch seine Stellungnahmen in der Tagesschau und verschiedene Interviews bekannt sein), finde ich das sehr, sehr wichtig. Zumal ich zusammen mit Ukraineerfahrenen Freunden leider sehen muss, dass die friedliche Revolution der Ukrainer bei weitem in Deutschland nicht so viel Verständnis findet, wie sie es verdient hat.

Bevor ich ihren Artikel gezielt gesucht habe, hatte ich das russische Pendant der Deutschen Welle rezipiert (http://www.dw.de/не-восхищайтесь-нами-поймите-нас-или-украинский-литдесант-в-германии/a-17418244?maca=rus-rss_rus_UkrNet_All-4190-xml), das einige Aspekte hervorragend herausarbeitet. Im Vergleich mit Ihrem Artikel sehe ich leider in Bezug auf einige wichtige Details Sinnverschiebungen, die mich sehr beunruhigen.

Die Deutsche Welle berichtet einen Teil des Autorengesprächs, der bei Ihnen gar nicht zum Klingen kommt: Auf die Frage, was den Präsidenten der Ukraine Janukowitsch erwartet, erläutert Andruchowitsch im Gespräch, dass es den Ukrainern nicht darum geht, den Kopf des Staatsoberhauptes rollen zu lassen. Aber er soll vor dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag zur Rechenschaft gezogen werden. Für mich klingt das erstaunlich versöhnlich und entspricht genau dem, was ich von den Menschen hier um mich herum höre. Es sind viele Stimmen, durchaus Janukowitsch- Gegner, die Mitleid mit ihm äußern, Sorge um sein Seelenheil haben („Wie kann er noch schlafen, wie kann er mit all dem Blut, das an seinen Händen klebt, noch in Ruhe leben?“).

Noch mehr beunruhigt mich aber Folgendes: Die Deutsche Welle berichtet davon, dass die Schriftsteller ausführlich erläutert haben, dass Deutschland einem Mythos über Klitschko erlegen ist. Dass er für die Ukrainer durchaus nicht als die geeignete Führungspersönlichkeit erscheint. Und auch das ist genau das, was ich hier immer wieder gesagt bekomme: Klitschko hat zwar gute Ansätze, eignet sich aber nicht als führender Politiker.

Wie kommt es, dass sich bei Ihrem Artikel der Schwerpunkt so zu einem Lob Klitschkos verschoben hat? Sind wir Deutschen wirklich so blind, dass wir weiter selektiv hören wollen, was wir hören wollen? Oder stecken sogar irgendwelche Interessen dahinter, dass sich das Medieninteresse in Deutschland so auf Klitschko fokussiert? Ich denke, in dieser Hinsicht muss mit mehr Vorsicht und Feingefühl recherchiert werden. So gibt es zum Beispiel auf dem Maidan durchaus Initiativen, die Beachtung verdienen: Die „Demokratische Allianz“, die Initiative „Boykott der Partei der Regionen“… Diese zu fördern könnte bedeuten, eine friedliche, demokratische Entwicklung in der Ukraine und damit das Gleichgewicht in Europa zu stärken.

Prochasko hat, laut Deutsche Welle, deutlich formuliert, dass aus dem Maidan selbst neue Führungspersönlichkeiten erwachsen könnten.

Trotzdem: Vielen herzlichen Dank, dass Sie die Ukraine nicht aus den Augen verlieren. Die Menschen sind immer noch auf dem Maidan, es ist immer noch Winter und das lädt von Natur aus nicht zum Campen ein. Ich wünsche mir, dass die Not der Ukrainer von Europa noch viel ernster genommen wird

und grüße Sie deshalb hoffnungsvoll und freundlich,

Ihre Charis Irene Haska

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