Der Kreml führt überzeugend vor Augen, dass Logik und Vernunft nicht zu seinen Handlungsmotiven zählen – den Motiven der Regierung eines Landes, das über ein Kernwaffenarsenal verfügt. Auf eine schnelle Reaktion des Westens zu hoffen lohnt sich in diesem Falle leider nicht.
Die Separatisten und die russischen Militärs haben versucht, Marijinka einzunehmen, ohne auf eigene Verluste zu achten. Wie sich herausstellt, war der militärischer Erfolg für sie zweitrangig, insofern im Donbas weiterhin hybrider Krieg herrscht. Primäres Ziel war es, einen Informationsköder für die Adepten von Panik in den ukrainischen sozialen Netzen zu legen. Die zweite Aufgabe war es, die Streitkräfte der Ukraine zum Einsatz von Artillerie zu provozieren, die gemäß dem Minsker Abkommen abzuziehen war. Es ist bezeichnend, dass gestern auf dem Treffen der Kontaktgruppe in der weißrussischen Hauptstadt der russische Vertreter Asamat Kulmuchametow den Verhandlungstisch als erster verließ – gleichsam das Signal zum Angriff für die Militärs gebend.
Am Abend des 3. Juni begann der Förderationsrat der RF die Vorbereitungen für eine außerordentliche Versammlung. Was dort beschlossen werden wird, ist schwer zu prognostizieren, doch am Wahrscheinlichsten ist es, dass der Förderationsrat die Erlaubnis zum Einsatz der russischen Armee für eine „Friedensmission“ in der Ostukraine erteilen wird. Seit der Gefangennahme zweier Mitarbeiter des russischen Militärgeheimdienstes GRU ist der Kreml kaum noch an die Regeln der politischen Korrektheit gebunden. Andererseits bedeutet eine Erlaubnis des Föderationsrats nicht, dass automatisch schon bald russische „Friedenstruppen“ in den Donbas einmarschieren werden. Die russische Führung hat nämlich keine Absichten, die selbstausgerufenen Republiken in die Russische Föderation zu integrieren. Ganz im Gegenteil haben sowohl Putin als auch sein getreuer Diplomat Lawrow in letzter Zeit mehrfach die Einheit der Ukraine betont.
Russland erhöht wie prognostiziert den Einsatz im Vorfeld des G7-Gipfels. Putins Ausscheiden aus dem Club der Staatenlenker der modernen Welt wird nicht nur durch mehrere Erklärungen über die Unmöglichkeit seiner Rückkehr in diese ehrwürdige Runde, sondern durch die Konfusion rund um den FIFA-Präsidenten Joseph Blatter verstärkt, der die Unterstützung des Kremls nicht wertzuschätzen wusste und seinen Rücktritt erklärte. Es scheint, als habe Russland beschlossen, die Welt über eine Eskalation des Konfliktes in der Ukraine zu zwingen, mit Russland zu rechnen.
Leider sind die Planspiele der Kreml-Strategen in einem richtig: Auf eine schnelle und konsolidierte Reaktion des Westens lohnt es nicht zu warten. Höchstwahrscheinlich ist man in Moskau im Bilde, dass es auf dem EU-Gipfel keine Lockerung der Sanktionen geben wird, und hat beschlossen, mit einer „Nötigung zur Reintegration der Ukraine“ zu beginnen und dabei die Donezker Steppen mit Blut zu überschwemmen. Putin geht somit wieder einmal den Weg einer Verschärfung der Lage mit dem Westen und vor allem mit den USA, die überzeugt sind, dass die Minsker Übereinkommen nicht ausreichend erfüllt wurden, um die Sanktionen gegen Russland lockern zu können.
Was soll die Ukraine in dieser Situation tun? Keine Panik verbreiten, unseren Soldaten helfen und nicht ein weiteres Mal vergeblich auf den Westen hoffen. Eine starke und von ihrer Kraft überzeugte Ukraine brauchen ausschließlich wir, die Ukrainer selbst, und wir sollten nicht nur in Krisensituationen in kritischer Masse Erscheinung treten. Vor uns stehen schwere Zeiten, doch Grund zur Kapitulation gibt es nicht.
Autor: Eugen Magda, Geschäftsführer beim Zentrum für gesellschaftliche Beziehungen und Dozent am KPI
Quelle: Espreso.tv
Aus dem Ukrainischen von: Tobias Ernst – Fachtexte vom Profi