von Halyna Kojnasch, KHPG, 8.1.2015
Vor der französischen Botschaft in Kiew haben am Mittwochabend Menschen aus der Ukraine ihr Mitgefühl mit den Menschen in Frankreich und anderen Ländern in der Trauer um die Journalisten des französischen Satiremagazins Charlie Hebdo und die Polizisten bekundet, die am Mittwoch ermordet wurden. Unter den Teilnehmern der Mahnwache war auch Sajid Ismahilow, Mufti der Muslime in der Ukraine, und was er sagt, verdient, von all jenen von uns gehört zu werden, deren erste Reaktion es war, aus Solidarität mit den getöteten Journalisten Karikaturen von Charlie Hebdo und insbesondere Karikaturen von Mohammed zu veröffentlichen.
Mufti Sajid Ismahilow bekundete den Familien der Ermordeten sein Beileid und sagte, dass das Magazin zwar Karikaturen des Propheten Mohammed veröffentlicht habe, „was zweifellos die religiösen Gefühle der Muslime verletzt“ habe; solche Angelegenheiten müssten jedoch „auf zivilisierte Weise innerhalb des rechtlichen Rahmens jedes konkreten Landes geregelt werden“.
Weiter sagte der Mufti, dass der Islam Gewalt, Mord und Gesetzlosigkeit verbiete und daher „das heutige Verbrechen ein Schock für die gesamte europäische muslimische Gemeinschaft“ gewesen sei. „Selbst wenn es sich erweisen sollte, dass die Verbrecher sich als Muslime betrachten, verurteilen wir Muslime von Europa solche Taten.“
Solange die Schuldigen nicht gefasst sind und ihre Schuld nicht bewiesen ist, kann streng genommen in der Tat nicht bestätigt werden, dass sie Muslime waren, oder dass sie Charlie Hebdo wegen seiner oftmals pietätlosen Karikaturen angegriffen haben. Dennoch würde kaum jemand Sajid Ismahilow zustimmen, dass wir nicht wissen, ob die Verbrecher Muslime waren, und ob das Attentat mit den Karikaturen oder mit Frankreichs Außenpolitik in Zusammenhang steht. Das Verhalten der Mörder, ihre Rufe, dass Sie „den Propheten Mohammed gerächt“ hätten, und das Ziel ihres Attentats lassen kaum Zweifel.
Einige Medien in anderen Ländern haben offenkundig solche Schlussfolgerungen gezogen und die Titelseite von Charlie Hebdo nur mit verpixelten Karikaturen gezeigt, vermutlich um zu vermeiden, selbst zum Ziel von Attentätern zu werden. Viele anderen Journalisten und Medien haben dagegen ihre Solidarität und ihre feste Entschlossenheit, die monströsen Mörder nicht gewinnen zu lassen, dadurch zum Ausdruck gebracht, dass sie genau diese Karikaturen veröffentlicht haben.
Sajid Ismahilow verurteilt das Verbrechen und fährt dann fort:
„Im Lichte dieser tragischen Ereignisse möchte ich als Mufti der Muslime in der Ukraine darum bitten, Aufrufen, Karikaturen des Propheten Mohammed (Friede sei mit ihm!) in allen Ländern zu veröffentlichen, keine Folge zu leisten. Das ist besonders für die Ukraine aktuell, wo gegenseitigem Verständnis und Freundschaft zwischen Muslimen und allen anderen Ukrainern vor dem Hintergrund des Informationskriegs und des bewaffneten Kriegs gegen unser Land eine besonders hohe Bedeutung zukommt. Es scheint kaum ein Zufall zu sein, dass etwa Michail Chodorkowski zur Veröffentlichung von Karikaturen unseres Propheten aufgerufen hat.
Ich bitte alle Journalisten, besonders die, die ich persönlich kenne, Umsicht walten zu lassen und nicht mit dem Verbrechen Einzelner Ressentiments im Land zu schüren. Gerne besuche ich Ihre TV-Studios, erläutere die Position des Islams, beantworte alle Fragen und bringe im Namen der Muslime in der Ukraine Mitgefühl zum Ausdruck.“
Es ist offenkundig, dass sich in Frankreich Marine Le Pen, die Vorsitzende der rechtsextremen Front Nationale, das unmenschliche Verbrechen vom Mittwoch bereits für ihre eigene antimuslimische und immigrationsfeindliche Agenda zunutze macht.
Russland und sein Marionettenregime auf der Krim haben systematisch an der Verbreitung der Vorstellung gearbeitet, dass die Krimtataren, die sich mehrheitlich gegen die Invasion Russlands und die Annexion ihres Heimatlands positioniert haben, „Extremisten“ seien. In den letzten sechs Monaten kam es häufig zu bewaffneten Durchsuchungen von Wohnungen, Moscheen und Religionsschulen von Muslimen, und es gegen den Medschlis – die Repräsentationskörperschaft des Volks der Krimtataren – ist eine gewaltige Offensive im Gange.
Sowohl auf der Krim als auch in dem von vom Kreml unterstützten Kämpfern kontrollierten Teil des Donbass-Gebiets sind Intoleranz und Verfolgung gegen alle Religionen und Konfessionen mit Ausnahme der Mitglieder der Orthodoxen Kirche Moskauer Patriarchats zu beobachten.
Es gibt jeden Grund zu der Befürchtung, dass auch Moskau und seine Stellvertreter auf der Krim und in der Ostukraine solche entsetzlichen Verbrechen nutzen könnten, um zu versuchen, die Ukrainer zu spalten, und die Worte von Sajid Ismahilow bedienen daher zweifelsohne Beachtung.
08.01.15 | Halyna Kojnasch
Quelle: Kharkiv Human Rights Protection Group
Aus dem Englischen von: Tobias Ernst – Fachtexte vom Profi