Ukraine-Konflikt: Russische Familien suchen Soldaten-Söhne

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Die Frauen russischer Luftlandetruppen in Kostroma, nördlich von Moskau – Foto: AFP

Von Oleg Boldyrew – BBC Russischsprachiger Dienst – 28. August 2014
Übersetzung von Voices of Ukraine

Vorwürfe russischer Einmischung in die Kämpfe in der Ostukraine sind nichts Neues, werden aber nun von großer Sorge seitens der Verwandten von russischen Soldaten begleitet, die nicht wissen, wo sich diese aufhalten, oder im schlimmsten Fall deren Leichen in Empfang nehmen müssen.

In Kostroma nördlich von Moskau begaben sich am Donnerstag Verwandte der Soldaten der 98. Fallschirmjäger-Division, einer Eliteeinheit, zu deren Basis, um herauszufinden, wo ihre Angehörigen seien.

Die Soldaten waren zuletzt Manöver geflogen. Das ist dieselbe Einheit, von der zehn russische Soldaten in dieser Woche in der Ukraine gefangen genommen worden waren.

Ein Mann, der als „Vertreter der Einheit“ vorgestellt wurde, sagte, die Soldaten seien noch in der russischen Region Rostow – die an das von Kämpfen verwüstete Gebiet der Ostukraine grenzt – und würden sich am 31.August bei ihren Verwandten melden. Aber wenn man Einheimischen in Kostroma Glauben schenkt, könnte es für einige Soldaten zu spät sein.

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Walerija Sokolwa sagt, 350 Soldaten seien aus Kostroma in die Kampfzone geschickt worden, und einige seien als Leichen zurückgekommen – Foto: AFP

Walerija Sokolowa, die Frau eines der Fallschirmjäger, erzählte der Nachrichtenagentur AFP, dass Särge mit den Leichen der einheimischen Soldaten am Mittwoch in der Stadt angekommen seien. Es gibt keine unabhängige Bestätigung.

Bisher gab es zwei bestätigte Beobachtungen von Beisetzungen von Soldaten, die nach Rostow entsandt worden waren. Zwei frisch ausgehobene

Die zehn in der Ukraine gefangen genommenen russischen Soldaten waren aus Kostroma - Foto: Verteidigungsministerium der Ukraine

Die zehn in der Ukraine gefangen genommenen russischen Soldaten waren aus Kostroma – Foto: Verteidigungsministerium der Ukraine

Gräber wurden diese Woche nahe der nordrussischen Stadt Pskow entdeckt, wo auch eine andere bekannte Fallschirmjäger-Division beheimatet ist.

Sie gehören dem 29-jährigen Leonid Kitschatkin und dem 20-jährigen Aleksandr Osipow. Laut den Grabinschriften starben sie am 19. und 20 August.

Korrespondenten, die den Friedhof am Dienstag, dem Tag nach dem Begräbnis, besuchten, wurden mit Steinen beworfen, und ihre Autoreifen wurden aufgeschlitzt.

„Offenbar beobachtet jemand den Friedhof sehr genau“, sagte Wladimir Romenskij von TV Doschd.

Grabinschrift von Aleksandr Osipow - die Plakette wurde später entfernt - Foto: Pskowskaja Gubernija

Grabinschrift von Aleksandr Osipow – die Plakette wurde später entfernt – Foto: Pskowskaja Gubernija

Die Versuche einheimischer Journalisten, die Angehörigen der toten Soldaten zu treffen, mussten nach Drohungen einer Gruppe aggressiver Leute abgebrochen werden. Ähnliche Drohungen wurden am nächsten Tag gegen einen Reuters-Korrespondenten geäußert.

 

Bisher gab es keinerlei offizielle Erklärung dieser beiden Todesfälle. Die Gedenktafeln mit den Namen der Soldaten wurden später von beiden Gräbern entfernt.

Das seit länger Zeit kursierende Gerücht einer Beteiligung des russischen Militärs in der Ukraine stimmt mit den in sozialen Netzwerken, Websites und regionalen Medien verbreiteten Berichten überein, dass der Kontakt zwischen den Soldaten und ihren Angehörigen plötzlich abgerissen sei.

Zusätzliche Glaubwürdigkeit erhält das Gerücht durch ein Netzwerk von NGOs, genannt „Union der Komitees der Soldatenmütter Russlands“, das sich seit den Tschetschenien-Kriegen Mitte der 90-Jahre an vorderster Front für die Verteidigung der Soldatenrechte einsetzt.

Ljudmila Bogatenkowa, die Vorsitzende der Organisation der Soldatenmütter in Stawropol in Südrussland behauptete am Mittwoch, dass sie eine Liste mit 400 Namen von verwundeten und getöteten Soldaten hätten. Sie sagt, dass viele zu Einheiten, die normalerweise in Tschetschenien und dem benachbarten Nordossetien stationiert sind, gehören.

Es gibt auch Berichte von mehreren Soldaten-Begräbnissen in einer anderen Republik im Nord-Kaukasus, Dagestan. Die Quelle dieser Liste wurde nicht veröffentlicht, und es gab keinen offiziellen Kommentar seitens des russischen Verteidigungsministeriums.

Einige Aktivisten sind weniger verschlossen.

Ella Poljakowa, die Leiterin des Verbands der Soldaten-Mütter in St. Petersburg, behauptete am Mittwoch, dass während der letzten Tage viele Militärkrankenhäuser in Rostow eine Vielzahl verwundeter Soldaten aufgenommen hätten. Sie ist auch Mitglied des Menschenrechtsrats beim Präsidenten und erstattete Anzeige beim russischen Untersuchungskomitee (Ermittlungsbehörde) an, in der sie verlangt, dass Berichte über neun Todesfälle aus dem Nordkausasus untersucht werden. Sie sagte auch, dass sie eine Inspektion der Militärkrankehäuser in Südrussland fordern würde.

Der Rebellenführer Aleksandr Sachartschenko sagt, russische Soldaten helfen den Rebellen während ihres Urlaubs - Foto: AFP

Der Rebellenführer Aleksandr Sachartschenko sagt, russische Soldaten helfen den Rebellen während ihres Urlaubs

Im Gegensatz dazu war ihre Kollegin in Dagestan wesentlich weniger bereit zu sprechen und weigerte sich, die Reaktion der Angehörigen auf die Nachrichten von möglichen Todesfällen aus ihrer Region zu diskutieren.

Als sie von der BBC kontaktiert wurde, sagte Zulfia Magomedowa, dass Russland nicht in die Kämpfe in der Ukraine involviert sei und alle Kämpfer aus Dagestan Freiwillige seien.

Das entspricht der Aussage des Donezker Separatistenführers Aleksandr Sachartschenko, der einräumte, dass russische Soldaten involviert seien, jedoch nur solche, die beurlaubt seien.

Jeder mit Erfahrung im Dienst der russischen Armee ist sehr skeptisch, ob solche „Urlaubsreisen“ möglich seien. Soldaten und Offiziere müssten ihre Vorgesetzten über alle Auslandsaufenthalte in Kenntnis setzen und Pässe beantragen, die normalerweise für die Dauer des Armeedienstes eingezogen werden.

Aber die Grenze in der Nähe von Rostow illegal zu überqueren erforderte wahrscheinlich ohnehin keinen Pass, da die Ukraine dort keine Kontrolle habe.

Eine Gründerin der Soldatenmütter, Walentina Melnikowa, sagt, solche „Urlaube“ seien nichts Neues und seien erstmals Ende November 1994 aufgedeckt worden, als Russland versuchte den Widerstand in Tschetschenien zu unterdrücken. Damals wurde herausgefunden, dass eine Gruppe von Elite-Sturmtruppen, die von tschetschenischen Kämpfern gefangen genommen worden waren, vom Dienst beurlaubt gewesen war.

Frau Melnikowa sagte gegenüber der BBC, dass Untersuchungen von Fällen, wo Soldaten plötzlich verstummten, behindert würden, möglicherweise weil die Familien vieler Soldaten Angst hätten zu sprechen.

1-landkarteJahrelang seien öffentliche Appelle von NGOs die einzige Möglichkeit gewesen, Untersuchungen zu starten, sagte sie. “Fürchten Sie sich nicht, ihre Namen und Einheiten zu nennen!“ fordert sie die Angehörigen auf.

Quelle:  http://www.bbc.com/news/world-europe-28968526 (29. August 2014) (übersetzt und editiert von Voices of Ukraine)

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