Charis Haska: Überfall der Friedenstaube
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Gesprächsthema Nr. 1 heute vor und nach dem Gottesdienst: Russland und seine zu Zombies verwandelten Untertanen. Und der gegen sie entstehende oder wieder aufflackernde Hass. Hass, der aus den Erfahrungen der Verschleppung und Repressionen unter Stalin resultiert.
Ralf hat eine mutige Predigt gehalten. Er konnte nicht umhin, bei der „Wolke der Zeugen“ (Hebräer 12) die Himmlische Hundertschaft zu assoziieren. Conclusio trotz allem: Gott widersteht dem Bösen durch Liebe.
Nach dem Gottesdienst wandte sich ein gepflegter Fremder, etwas älter als wir, in ukrainischer Sprache zunächst an mich, dann an Ralf: Warum wir im Gottesdienst noch die Sprache der Okkupanten benutzen. Ich versuchte zu erklären: Ein großer Anteil der Stammgemeinde hat Russisch als Muttersprache. Ralf gab ihm dann eine vernünftigere Antwort: In der Ukraine wird Ukrainisch u n d Russisch gesprochen.
Ich wollte heute eigentlich nicht schreiben. Jetzt fließt in Charkow Blut. Man versucht, den Schwerbewaffneten zu wehren. „Das selbe Szenario wie auf der Krim. An der Aussprache hört man deutlich, dass es sich bei den Besetzern um Russen handelt, nicht um Leute aus Donezk. Ich als Philologe merke das sofort.“ kommentiert mein Nachbar das, was er im Fernsehen gesehen hat. „Ich bedauere es jetzt, dass unser Staat die Atomwaffen abgegeben hat. Warum schweigt Europa? Drei Länder garantieren per Vertrag die Unteilbarkeit der Ukraine: Gro0britannien, die Vereinigten Saaten und Russland. Und jetzt bricht der Garant selbst über uns herein. Natürlich ist die ganze Ausrüstung noch da, um Atomwaffen herzustellen. Und die Wissenschaftler dazu auch. Aber das braucht drei Jahre. Und wer wird dann die Atomwaffen anwenden? Jetzt, jetzt muss der Terrorist mit klinischen Syndrom gestoppt werden! Sitzen bleiben und sich einbilden, man habe nichts damit zu tun, <Es wird schon nicht zu uns kommen> – das ist eine gefährliche Illusion! Muss Putin erst Polen besetzen, damit Europa begreift, worum es hier geht?“
Mir fällt ein Satz von heute Mittag wieder ein: „Jemand hat gesagt: <Hoffentlich gibt es keinen Krieg!> Was wollt Ihr denn? Merkt Ihr nicht, dass seit Anfang März der Krieg seinen Lauf nimmt? Wollt Ihr abwarten, bis geschossen wird?“
Ich gehe, um Geld zu tauschen. Gestern Abend war der Kurs schon bei 17 Griwna 80 für einen Euro. Bloß dass alle Wechselschalter am Kreschtschatik um 19.30 Uhr schon geschlossen waren, als wir tauschen wollten. Jetzt hat nicht mal mehr der Schalter am Übergang der Luteranska zum Kreschtschatik ein Schild mit dem Kurs draußen hängen. Auch nebenan beim Juwelier ist der Schalter geschlossen. Keine Wechselstelle am Kreschtschatik ist offen. Ich frage in der superteuren Boutique, wo man für 60 Euro ein einfaches buntes Halstuch aus deutscher Herstellung erwerben kann, wieso auch ihr Wechselschalter geschlossen ist. Der Ladenwächter antwortet mir mit milder Stimme nur ein einziges Wort: „Panik.“ Ich verlasse den Laden und steuere die letzten hoffnungsvollen Adressen an.
Auf dem Kreschtschatik fährt eine kleine Wagenkolonne eleganter Luxusgeländewagen, einer mit einem großen Lautsprecher mit rhythmischer, moderner Musik. ich frage zwei junge Mädchen, was für Musik das ist. „Welche Gruppe, das können wir nicht genau sagen. Aber es ist die Hymne des Maidan.“
Ja, trotz der Kälte sind genügend Spaziergänger unterwegs. Ein junges Mädchen wird von einer weißen Taube angeflogen, die gegen Geld zum Streicheln und Fotografieren bereit gehalten wird. Nur mit Mühe kann es sich von der Attacke befreien.
Der Lautsprecherwagen kommt zurück, jetzt spielt er die Nationalhymne. Mir kommen die Tränen.
In der Passage werde ich schließlich fündig, als ich mich daran erinnere, dass man beim Mobilfunkanbieter MTS früher an der Kasse tauschen konnte. Unfreundlich wechselt mir die Kassiererin meine 100 Euro, ich muss aber meinen Namen angeben und unterschreiben. Womit denn die Leute bezahlen, die keine Valuta haben, frage ich. „Sie bezahlen mit Griwna. Was wollen Sie? Wenn Sie uns Euro bringen, bekommen Sie dafür Griwna!“
Auf dem Bürgersteig liegen vier neonfarbige, langstielige Plastiknelken verstreut.
Für einen Laib ukrainisches Mischbrot und einen Laib Weißbrot bezahle ich im Supermarkt um die Ecke 6 Griwna 26. Diesmal merke ich mir den Preis, für den Fall, dass ich im Lauf der Woche mit Kopeken aus meinem Sammelglas bezahlen muss.
Тарас ШЕВЧЕНКО
На память 9-го ноября 1843 года.
>>Тризна<<
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В ком веры нет — надежды нет!
Надежда — Бог, а вера — свет. …
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Wer keinen Glauben hat – hat keine Hoffnung!
Hoffnung ist Gott und Glaube ist Licht. …
Єдина Країна – Единая Страна