Appell an die Juden in aller Welt

Von: Vitali Nachmanowitsch, ukrainisch-jüdischer Historiker
Quelle: http://eajc.org/page34/news43050.html

Auf den Majdan sind nicht nur Ukrainer gegangen, sondern auch Russen, Armenier, Belarussen, Krimtataren. Und wir, Juden. Wir wollen heute mit ihnen zusammen stehen, und nicht neben ihnen.

Drei Mal schon wurden Gläubige der Kyiwer Synagoge in Padale überfallen. Zwei mal ohne Folgen, einmal wurde ein Yeshiva Student verletzt. Die Tatumstände lassen keinen Zweifel an der Urheberschaft.

Ein spontaner Aggressionsschub der “Antisemiten vom Majdan” ist hier ausgeschlossen. Heute kann auf dem Majdan höchstens ein Patient einer psychiatrischen Klinik ein solche Aktion planen, würde sie doch bedeuten, alle Hoffnung auf Hilfe aus dem Westen bewusst zu begraben.

Aber wenn es um die andere Seite geht: Erstens haben wir hier das Gefühl von absoluter Straffreiheit… die Polizei hat nicht eingegriffen… Das ist eigentlich typisch für die heutige Situation in Kiew. Banden, die unter höherem Schutz stehen, setzen Autos in Brand, zerwerfen Scheiben, überfallen Passanten und verschwinden im Nebel der Nacht…

Wir, die ukrainischen Juden, sind vor langer zeit hierher gekommen auf diese Stück Erde. Jüdischen Gemeinden auf der Krim gibt es seit mehr als 2000 Jahren. Über Kiew gibt es die ersten Nachrichten in einem Brief, der hebräisch geschrieben ist.

Aber unsere Neuzeitgeschichte hier begann vor knapp 500 Jahren. Das “goldene Jahrhundert”, die Haskala, die Pogrome und der Holocaust, der Kommunismus und “der Kampf gegen die Kosmopoliten ” – alles das haben wir hier überlebt. Und in all dieser Zeit lebten wir neben den Ukrainern, aber sehr selten mit ihnen. Weil dieses Land gehörte allen, nur nicht ihnen. Litauen, Polen, Türkei und Russland, Österreich und Ungarn, Rumänien und der Tschechoslowakei, der Sowjetunion und dem Dritten Reich. Reiche und Republiken, Monarchien und Diktaturen waren alle ähnlich in einem: das Volk, das hier lebte, sollte schweigen und bescheiden sein.

Und wir, zusammengetrieben durch den Instinkt der Selbsterhaltung, haben immer versucht, auf der starken Seite, der Seite der Macht, zu stehen. Also – nicht auf der der Ukrainer. Dies bedeutete aber auch, dass jedes Mal, wenn Sie aus dem Ausland kamen, wir eines der ersten Objekte des Hasses oder der vorsätzlichen Propaganda wurden. Und auch da haben wir uns an die Behörden um Hilfe gewandt, und wieder liefen wir in einen Teufelskreis. Vielleicht, wenn auch nur ein Versuch, der Ukrainer, ihre Unabhängigkeit zu erkämpfen, erfolgreich gewesen wäre, vielleicht sähen unsere Beziehung anders aus… Vor 20 Jahren wurden auf den Ruinen des letzten europäischen Imperium neue unabhängige Staaten wiedergeboren, darunter die Ukraine. Im Laufe der Jahre hat der junge Staat seinen Weg und seinen Platz in der Familie der freien Völker gefunden…doch dann haben sich Kräfte der Vergeltung für Viktor Janukowytsch entschieden, den widerwärtigsten Politiker des pro-sowjetischen Lagern, mit seiner kleinkriminellen Vergangenheit, mangelnden Bildung und seinem provinziellen Horizont. In weniger als drei Jahren seiner Herrschaft konnte er enormen Reichtum und eine große Anzahl von Feinden gewinnen und begrub die Wirtschaft des Landes und seine Hoffnungen für die europäische Integration…

Vor zwei Monaten sind die Bürger der Ukraine auf die Straße gegangen mit nur einem Wunsch: die Diktatur aufzuhalten und neue Hoffnung für eine bessere Zukunft zu geben. Seitdem stehen sie auf dem Kyiwer Majdan und vielen anderen Majdans. Unter ihnen sind nicht nur Ukrainer, sondern auch Russen, Armenier, Weißrussen, Krimtataren. Und Juden…. Gegen sie werde jetzt Spezialeinheiten der Polizei geworfen, gedungene Hooligans und Angst verbreitet. …

Heute bedeutet mein und Ihr Wort wirklich viel für diese Menschen und für die ganze Welt . Mit Blut und Asche des Holocaust haben das Recht, zu sprechen und gehört zu werden. Leider sind heute viele von uns noch einmal versucht, aus dieser Situation ein Vorteil zu ziehen oder abseits zu stehen. So war es schon oft in der Geschichte. Aber heute ist die Zeit gekommen, sich daran zu erinnern, dass unser Recht auf Unsterblichkeit, das unsere Nation dreieinhalb tausend Jahren erhalten hat, uns nicht nur verpflichtet, die Gebote des Höchsten zu erfüllen, sondern auch sie auch allen Nationen weiterzugeben.

Heute erbeten die 45 Millionen Menschen in diesem Land, in dem auch viel von unserem Blut vergossen wurde, Gerechtigkeit und Barmherzigkeit. Zwei Dinge, auf denen Gott die Welt gebaut hat. Haben wir das Recht, uns zu verweigern?

This entry was posted in Appeals, Deutsch, Languages and tagged , , , . Bookmark the permalink.

Leave a comment

This site uses Akismet to reduce spam. Learn how your comment data is processed.