Anna Wendland: Die Ängstlichen

Was PEGIDA und der Putinismus in Deutschland, Russland und der Ostukraine gemeinsam haben – und warum beide bei uns in Deutschland fehlinterpretiert werden

von Dr. Anna Veronika Wendland

Heute Show mischt sich als Russia Today getarnt unter Pegida-Demonstranten

Heute Show mischt sich als Russia Today getarnt unter Pegida-Demonstranten

Das satirische Kunststückchen der „heute Show“-Truppe war nur vordergründig zum Lachen – eigentlich bleibt einem selbiges im Halse stecken, wenn man hört, dass die Dresdner Montagsmarschierer mit den „System“medien nicht mehr reden, wohl aber mit einem, wenn auch noch so schlecht geschauspielerten, „Russia Today“. Das Vertrauen der sich als schweigende Mehrheit inszenierenden Zusammenrottung der Abendlandsretter in die (vermeintlichen) Mikrofonhalter der russischen Propaganda legt offen, dass hier zusammenwächst, was zusammengehört.

Putins Botschaft an die „Völker“ Europas lautet ja schon seit langem, sie sollten gegen den verderbten, von den USA aufgezwungenen Kosmopolitismus zu ihrer „Identität“, „Souveränität“ und „Kultur“ zurückfinden; der „konservative“ Wertekanon aus Fremdenfeindlichkeit und vorgeblicher Bindung ans Christentum und sein Familienbild gehört genauso zu dieser Botschaft wie die den latenten Antisemitismus nur notdürftig übertünchenden Lippenbekenntnisse zu einem nicht näher definierten und auch gar nicht verstandenen „christlich-jüdischen“ Europa.

Denn der Kampf gegen eine angebliche Islamisierung – vor allem in Dresden – zeigt ja nur, dass man lediglich einen beliebigen Popanz braucht, um sein Unbehagen an immer denselben Dingen laut herauszuschweigen: daran, dass nicht alle so sind wie wir selbst; daran, dass die Welt sich ändert; daran, dass Globalisierung sich nicht in meinem individuellen Recht auf billige Fernreisen erschöpft, sondern auch das Recht der anderen umfasst, unbehelligt in unserem Land zu leben und zu arbeiten.

Dieses Unbehagen ist aber noch mehr: es ist unterfüttert mit einer soliden Basis aus Hass gegen alle und alles, was nicht der selbstgesetzten Norm entspricht. Die Deutschen haben nichts gelernt seit den 1990ern, als der Mob auf vietnamesische Vertragsarbeiter, vereinzelt unter uns lebende Nichtweiße oder türkische Familien losging. Nichts gelernt seit der deutschen Terrormiliz NSU. Man will ja auch gar nichts lernen oder irgendwohin vorwärtskommen, sondern der Blick geht nach rückwärts, zu den unerfüllten Sehnsüchten nach einem Kapitalismus mit menschlichem Antlitz etwa, den man sich im Deutschmark-Nationalismus erfüllt geglaubt hatte, und der vom Euro und von der atlantischen Welthegemonie der Investmentbanker hinweggefegt wurde. So hatte man sich das nicht vorgestellt, und deswegen sehnt man sich wieder nach dem guten, dem schaffenden statt dem raffenden Kapital.

Und natürlich auch nach dem guten Führer, der diese Werte hochhält und es den Amerikanern, denen man es nie verziehen hat, dass sie uns befreit und umerzogen und „westernisiert“ haben, einmal so richtig zeigt. Da gerät jede Erinnerung an den Typus der russischen Besatzung und Umerziehung gnädig in Vergessenheit – entsprach diese Umerziehung nach stalinistisch-russischnationalen Muster in Ostdeutschland doch offensichtlich viel mehr dem deutschen Substrat, als es die Nazipropaganda vom slavischen Untermenschen behauptete. So können wir bilanzieren: die russisch-deutsche Freundschaft in Ostdeutschland, die gab es offensichtlich doch. Was sich über Generationen in den Köpfen richtig erfolgreich festgesetzt hat – oder, genaugenommen, nie daraus verjagt wurde, das ist der Autoritarismus und der Ethnozentrismus.

Deswegen fließt das neudeutsche Unbehagen am “System” so widerspruchsfrei mit der Querfront der deutschen Putin-Sympathisanten zusammen. Während letztere ordentlich krakeelen von der Weltverschwörung, marschieren erstere schweigend. Das nimmt sich eindrucksvoll aus und sieht so aus, als ob jemand, von höchster Not bedrückt, still leide und zum letzten Mittel greife, um “endlich gehört” zu werden. Das beeindruckt sogar harte Hunde wie Günter Jauch : “Es ist Winter. Es ist kalt. Es ist Advent. Und trotzdem kommen da zehntausend Menschen zusammen.” Man schweigt auch, weil man fürchtet, von wortverdreherischen Journalisten der Systempresse in die Falle gelockt zu werden, aber an dem, was bei allerlei „Montagsdemonstrationen“ landauf, landab ertönt, können wir ermessen, was da aus immer wieder fruchtbarem Schoß kriecht.

Es ist die neue europäische Rechte, in Parteiform gegossen von der AfD und dem Front National, gesponsort und gehätschelt mit russischem Geld und russischer „Souveränitäts“propaganda, geeint durch das unstillbare Verlangen nach Sicherheit durch Ausscheidung alles Störenden, alles “nicht Unsrigen”. Nicht umsonst heißt eine solche Bewegung in Russland „Naši“, die Unsrigen, und der Rest, die nicht Unsrigen, wird je nach Land und politischer Opportunität zum Schreckbild aufgebaut. Ob Islamisierung und Homoehe, wie bei uns und in Frankreich, oder „Gayropa“ und angeblicher ukrainischer „Faschismus“ – das sind nur die Chiffren für das Andere, das nicht so ist wie ich.

Beschrieben wird das in der öffentlichen Analyse von unseren wohlmeinenden Demokraten dann als „Ängste“: wahlweise „berechtigte Ängste“ oder, wenn’s etwas kritischer sein darf, „irrationale Ängste“, und als Lösungsangebot gilt, immer auch mit einem verstohlenen Schielen auf die Wählerstimmen, der „Dialog“ mit den „Ängstlichen“.

Und auch hier treffen sich PEGIDA und Putinismus: in der Versteher-Reaktion der Demokraten. Die Pegidaversteher bieten Bürgerdialoge mit Leuten an, die gar keinen Dialog wollen. Sie suchen den Grund der „Ängste“ ernsthaft in der Tatsache, dass die Errichtung von Unterkünften für ein paar Tausend Flüchtlinge in einer hunderttausende Einwohner zählenden Großstadt nicht „richtig kommuniziert“ worden sei. Die Pegidaversteher wollen nicht verstehen, dass die PEGIDA nichts anzubieten hat im Dialog außer der Lösung, dass alle gut sind, die so sind oder werden wie wir; und dass verhasst bleibt, wer anders ist: „Integration“ nennen sie das.

Und genau so missinterpretieren unsere Putinversteher die Agenda der russischen Regierung. Auch sie vermeinen, den Grund für die “Ängste” Russlands zu kennen. Was der PEGIDA die Islamisierung, das ist dem Putin die Expansion von NATO und EU: „Ängste“, die man „verstehen“ kann. Dass die Bedrohungen samt und sonders selbsterfunden sind, ist da zweitrangig. Und genauso gibt es auch eine Moskauer Vision von Integration im postsowjetischen Raum, die mit ökonomischer und politischer Integration gleichberechtigter und souveräner Partner soviel zu tun hat wie ein Panzer mit einem Bobbycar. Gleichwohl wollen uns immer noch etliche selbsternannte Russlandspezialisten weismachen, die NATO fahre auf dem Panzer, und Putin auf dem Bobbycar.

Genauso wie in Dresden noch niemand eine Burka gesichtet hat, gibt es in Kiew keinen von den USA inszenierten Putsch; beides – der drohende kulturelle Overkill durch den Islamismus und die amerikanische Verschwörung gegen Russland in der Ukraine – wird durch obstinate Wiederholung nicht wahrer.

Die „Naši“ in Deutschland, Frankreich und Russland, die ihre Ängste zum Vorwand für Aggression – verbale oder direkte – machen, brauchen aber auch gar kein Faktenwissen über die Welt in ihrer Komplexität. Denn sie haben sich bereits ihre eigene Welt zusammengedacht, so wie sie ihnen gefällt. Unser Unglück ist nur – beim Denken und beim Schweigen bleibt es nicht. Bleibt es nie bei diesen Leuten. Die Schweigenden in Dresden geben die schweigende Mehrheit ab für jene, die vornedran marschieren und die laut sagen, was die Schweigenden sich noch nicht trauen zu sagen, was sie aber denken; sonst würden sie nicht einem gewaltaffinen gelernten Koch und einen verkrachten, durch einschlägige Äußerungen aktenkundig gewordenen Stadtrat und anderen bärtigen, bulligen Gestalten folgen.

Die vorbestraften Köche und die verkrachten Stadträte kennen wir auch aus dem ukrainischen Donbass. Diese in Russland verkrachten Existenzen setzen dort mit Billigung und Wissen der Moskauer Regierung, und mit russischen Waffen in der Hand, die neurussische Identitätspolitik in die Tat um. Dazu gehört nicht nur die weinerliche Rhetorik eines vorgeblich lokal geerdeten Widerstands, derzufolge man “nicht gehört” werde. Dazu gehört auch, dass maskierte, tarnfleckgewandete, bärtige selbsternannte Stadtkommandanten in Namen der abendländischen Familie jungen Frauen den Cafébesuch untersagen, weil diese besser zu Hause “den russischen Herd hüten” sollten. Erinnert uns das an was? Haben wir das nicht irgendwo schon einmal gehört? Richtig. Diese Leute könnten auch beim Islamischen Staat sein – das Konglomerat aus “konservativen Werten”, Hass und Gewaltbereitschaft ist immer das gleiche.

In Deutschland sind wir noch nicht so weit, dass der Pegida-Cocktail gegen Menschen gezündet hat, mit der selbstmitleidigen Begründung, „weil wir nicht gehört werden“. Aber wir werden dahin kommen. Die ersten Vorzeichen, brennende bezugsfertige Flüchtlingshäuser, haben wir bereits gesehen. Genauso wie der Expansionsdrang der neurussischen Ethnokratie und ihre Propaganda hierzulande nicht durch Russlandversteherei, sondern nur durch scharfe Sanktionen und strenges Monitoring gestoppt werden können, so wird auch gegen das Phänomen PEGIDA kein Dialog und kein Entgegenkommen etwas nützen, sondern nur die scharfkantige Kampfansage: nicht mit uns, allerdings.

Ansonsten sage ich voraus, dass, was sich heute vorgeblich friedlich unter die PEGIDA-Fahne stellt, sich morgen, beim nächsten Pogrom, als applaudierende Danebensteherei manifestieren wird. Und der eine oder andere dieser Leute wird, erst noch verstohlen, aber dann von Angst befreit, seinen ersten Stein und seinen ersten Molotovcocktail auf andere Menschen werfen. Und „Russia Today“ – das echte natürlich – wird voller Verständnis über die Selbstermächtigung des deutschen Volkes gegen Fremdbestimmung berichten.

Dr. Anna Veronika Wendland ist Osteuropa-Historikerin mit Schwerpunkt Stadt- und Technikgeschichte, zur Zeit Vertretung der wissenschaftlichen Leitung des Herder-Instituts für historische Ostmitteleuropaforschung in Marburg.

Quelle: Anna Veronika Wendland auf Facebook

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