Ein Arzt aus Odessa leitete die Operation zur Rettung der Soldaten, die bei Starobeschewo unter Beschuss geraten waren. Er war direkt in der Hölle und brachte über 700 Verwundete heraus.

Anatoli Sadownik mit Krankenschwestern, Quelle: 048.ua
Militärärzte konnten innerhalb von vier Tagen über 700 Verletzte und Gefangene aus Starobeschewo herausholen, wo am 29. August Freischärler ukrainische Soldaten beschossen hatten, die nach einer Vereinbarung mit der russischen Partei den Kessel von Ilowajsk verließen.
Journalisten von Vesti.ua sprachen mit Anatoli Sadownik, einem Arzt aus Odessa, dem Chef des medizinischen Diensts, der bei der Rettungsaktion unserer Verwundeten dabei war.
In Friedenszeiten leitet er das Kindersanatorium „Lustdorf“. Nach seiner Einberufung begann er, das Leben unserer Soldaten in einem Feldlazarett im Gebiet von Saporoschje zu retten. Nach dem Beschuss einer Kolonne kam Sadownik vier Tage lang nicht zum Schlafen, er musste sich mit den DNRlern und Russen einigen, auf Grausamkeit und Barmherzigkeit stoßem, dem Tod in die Augen sehen und er rettete Hunderten das Leben.
Anatoli Sadownik, wieso rief man Sie an, wenn Sie doch Chefarzt eines Kindersanatoriums sind?
Ich bin Chirurg, aber arbeitete lange Zeit nicht als solcher, und trotzdem blieben die Fähigkeiten erhalten. Ich ging ins Lazarett und versuchte es. Ich führte eine Operation durch und so ergab es sich. Ich versuchte erst gar nicht, mich der Vorladung zu entziehen, obwohl ich es aus medizinischer Sicht hätte tun können. Ein Psychiater wunderte sich darüber am meisten. „Ich versteh das nicht? Ein Chefarzt mit drei Kindern. Warum brauchst Du das?“ Nun, wir verstanden einander. Ich erklärte ihm, dass es meine Bürgerpflicht sei. Es ist so, wie Makarewitsch in seinem neuen Lied singt: „Statt sich einen Heiligenschein aufzusetzen, ist es besser, nicht schlecht zu sein.“ Ich wurde aufgefordert, am 18. August ins Feldlazarett zu gehen und sofort gab es harte Arbeit. Der allererste Fall war eine Wunde, die ein großkalibriges Maschinengewehr verursacht hatte. Der Brustkasten des Verletzten war buchstäblich nach Außen gedreht und zusätzlich war sein rechter Arm praktisch abgerissen worden. Ich setzte ihn in 3-4 Stunden wieder zusammen und rettete ihn. Dann riefen wir das Lazarett in Dnepropetrowsk an, wohin man ihn später brachte. Er lebt. Er ist gesund. Sein Arm ist noch dran. Und dann ging es weiter. Einer nach dem anderen.
Wie kamen Sie in die Region von Starobeschewo?
Am 26./27. August kam der Befehl, in die Region von Starobeschewo zu fahren. Uns war ein Sanitärbataillon aus Poltawa zugewiesen. Man sagte, dass wir Verwundete abholen sollen, aber der Platz reichte nicht. Tatsächlich war es eine Militäroperation. Über die Soldaten, die uns begleiteten, möchte ich etwas hervorheben. Dort war ein Oberst Alexander Nikolajewitsch (bis zum Abschluss der ATO ziehen es die Soldaten vor, keine Nachnamen zu nennen – der Artikelautor), ein echter Oberst. Ich hatte noch nie solche Menschen getroffen. Wie er mit den DNRlern und Russen verhandelte, wie er ohne kugelsichere Weste ging. Diesen Heldenmut muss man sehen. Wir waren in zwei Kolonnen. Meine fuhr bis Starobeschewo, aber die zweite ließ man an der Straßensperre der DNR nicht durch. In meiner Kolonne war nur ich Arzt.
Sie mussten sich mit den Freischärlern einigen, damit diese die Verwundeten freigeben?
Ja. Wir waren gar nicht darauf gefasst, dass man solche Verhandlungen führen muss. Man hielt uns an der Straßensperre an und alle wurden gefragt, woher wer kommt. Alle waren aus Poltawa, und dann ich – aus Odessa. Und mir wurde daraufhin gesagt, dass ich jetzt für den 2. Mai büßen müsse. Alles sehr emotional, aber ich konnte ihnen meine Position und Aufgabe erklären. Danach wussten bereits alle, dass ein Arzt aus Odessa mitfährt und man ließ uns ohne Probleme durch. Zur Ausfuhr der Verwundeten und Gefangenen einigten wir uns mit Russen. Ich lernte einen russischen Bataillonskommandeur kennen. Wir standen bereits in der Sowjetunion zur gleichen Zeit im Dienst. Ich sah seine Augen. Er hatte sie voller Tränen. Er sagte: „Kollege, ich wollte sie doch nicht erschießen. Ich erhielt den Befehl drei Minuten bevor die Kolonne auftauchte. Ich verstand, dass sie auf offenem Feld sind, von zwei Seiten – direkt im Visier, das ist ein Todesurteil. Aber ich hatte den Befehl.“
Ich sage jetzt nichts über die Anzahl der Toten. Wir sahen schreckliche Dinge. Der Bataillonskommandeur bedauerte sein Tun. Er half uns und gab uns eine Begleitung. Hier noch ein weiterer Fall: Es war der letzte Tag – ich, Oberst Alexander Nikolajewitsch und ein weiterer Oberoffizier, Michail. Wir sprachen mit dem russischen Offizier. Da kamen sieben Autos mit DNRlern und benahmen sich insgesamt sehr auffällig. „Sergej, für wen kämpfen Sie? Gegen wen kämpfen Sie?“ fragte ich den russischen Bataillonskommandeur, nachdem sie wieder weg waren. Er antwortete nicht, aber ich verstand alles ohne Worte. Das ist die allgemeine Stimmung in der russischen Armee. Wenigstens bei denen, die wir trafen. Und viele wollen diesen Krieg nicht. „Wir kämpften, aber wir wollen nicht gegen Euch kämpfen,“ sagen sie.
Wie brachten Sie die Verwundeten heraus?
Wir brachten sie alle in den Bezirk von Starobeschewo. Die Verwundeten lagen direkt auf dem Boden. Sowohl sie, als auch die Gefangenen, verstanden, dass wir nicht alle mitnehmen würden, weil der Platz einfach nicht reichte. Ich trat vor eine Gruppe Leute, die sich abseits hielt – sie unterschieden sich von den anderen, diszipliniert und gefasst. Ich fragte, ob es Verwundete gibt. „Ja, ich habe hier einen Durchschuss; ja, ich habe eine Quetschung; ja, bei mir an der Schulter, aber ein Arzt hat es verbunden, danke.“ „Dann setzt Euch ins Fahrzeug,“ sagte ich. „Nein, andere brauchen das vielmehr,“ antworteten sie. Stellen Sie sich das vor! Sie wussten sehr wohl, dass wir nicht mehr zurückkommen. Und sie sagten, dass andere eher Hilfe brauchen. Das war das Bataillon „Switjas“ – Jungs aus der Westukraine, die man die schrecklichen Bandera-Anhänger nennt. Was für ein Mensch muss man sein, um sich so zu verhalten? Letztlich fanden wir Platz und nahmen alle mit. Aus ihrem Bataillon überlebten nur 11 Leute. Heute sind sie zu Hause, wir telefonieren regelmäßig.
Wissen Sie, welche Bataillone unter Beschuss gerieten?
Ich sah, wie ein Zug des Bataillons „Dnepr“ unter Beschuss geriet. Von ihm blieb nichts übrig. Er wurde klassisch beschossen, wie in Afghanistan. Sie kamen auf der Zentralstraße ins Dorf. Das erste und letzte Fahrzeug wurde in Brand gesetzt und der Rest einfach beschossen. Es war zu sehen, wie die Jungs starben – eine Spezialeinheit. An den Uniformen und der Ausrüstung konnte man erkennen, dass es Offiziere waren. Es war ein fürchterlicher Anblick. Es waren 40 oder 50 Mann und keiner überlebte. Das waren Spezialeinheiten aus Kirowograd und Winniza. Alle suchten nach ihnen, und wir sahen sie. Das war kein Schlachtfeld, sondern ein Gemetzel.
Wurde Ihnen von dem Sanitätsbataillon geholfen?
Ja, natürlich. Die Jungs heulten. Vielen wurde schlecht. Sie hatten so etwas noch nie gesehen. Aber obwohl sie weinten, weigerte sich niemand, die Soldaten auf Tragen zu bringen. Ich war als Arzt vorbereitet und an offene Wunden gewohnt, aber die Jungs – nein. Und was wir sahen, solche Verwundungen, das war schrecklich. Etwas später lernten sie, wie man einen Verband anlegt und Präparate vorbereitet. Einfach super Jungs. Die Soldaten zeigten sich von ihrer allerbesten Seite. Das beweist ihren unerhörten Mut und ehrt sie.
Quelle: Jewgenia Genowa, vesti.ua, 10. September 2014
Übersetzung: VoU / JD, 22. September 2014
Eigentlich müssten Ukrainer und Russen jeweils im eigenen Land mit fairen Mitteln für Gerechtigkeit sowie gegen Korruption und Ausbeutung kämpfen. Dass in dem aufgezwungenen Bruderkrieg zweier slawischer Nationen, von Menschlichkeit geprägte Handlungen und Gesten möglich sind, erscheint fast wie ein Wunder. Hier werden diejenigen zu Helden, die sich unter dem Einsatz ihres Lebens um ihre Mitmenschen kümmern und diejenigen zu Feiglingen, die sich dem verschuldeten barbarischen Elend der von ihnen erlassenen Gesetze nicht selbst ausliefern.
Das ist kein “aufgezwungener Bruderkrieg”!
Das ist schlicht die Abwehr des Einmarsches der Truppen der faschistischen Russen!
Die Ukrainer können auf solche “Brüder” sehr gut verzichten!
SLAVA UKRAINI !
HEROYAM SLAVA!!!
Nach Ihrer Ansicht, müssten demzufolge alle ukrainischen und russischen Soldaten freiwillig in den gegenseitigen (Angriffs- und Verteidigungs)Krieg ziehen, und ihr Leben gern in Gefahr bringen. Dies erscheint mir nach normalen Maßstäben aber sehr unwahrscheinlich zu sein. Ganz zu schweigen, von dem Leid Verwandter, Bekannter und unschuldiger Opfer, das der durch den vom Kreml befohlenen (Bruder)Krieg verursacht.
Ihre primitive Einstellung, es handle sich nur um faschistische Russen, vermag ich nicht zu teilen, weil eine derartige Pauschalisierung der Wahrheit widerspricht. Russische Soldaten müssen ihren Befehlen gehorchen, ob sie wollen oder nicht. Hierbei ist nicht die persönliche Einstellung von Bedeutung. Außerdem, würde die russische Staatsführung solch einen enormen Propaganda- und Willküraufwand betreiben, wenn russische Soldaten mit Freude in der Ukraine kämpften und stürben?