Die russische Invasion und die Todesfälle, die Putin nicht erwähnt

1409277471-putin-sauervon Halya Coynash – Charkiwer Menschenrechtsgruppe – 29. August 2014 (Übersetzung)
Übersetzung von Voices of Ukraine

Warum sollte Russland sich nicht im Zweifel über die “ernsthaften Konsequenzen” befinden, wenn die westlichen Führer selbst nach den vermehrt auftauchenden Beweisen über die direkte Beteiligung der russischen Streitkräfte mit russischen Panzern und anspruchsvollen Waffen auf dem ukrainischen Territorium zum großen Teil weiterhin die alten Warnungen wieder aufwärmen?

Die Sprecher bei einer Dringlichkeitssitzung des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen haben am 28. August einer nach dem anderen die Aggression Russlands in der Ukraine deutlich benannt, und dennoch keine wirklich ernst zu nehmenden Maßnahmen angekündigt, um sie zu stoppen. Folgerichtig beschloss der russische Präsident Wladimir Putin, seinerseits Worte der “Besorgnis” über sinnlose Todesfälle hinzuzufügen.

Sein “Appell an die Aufständischen von Noworossija” erschien am 29. August um 1 Uhr auf seiner Website. Darin stellt er fest, dass “die  Aufständischen große Erfolge bei der Eindämmung der Kyiwer Militäroperationen hatten, die eine tödliche Bedrohung für die Bevölkerung des Donbas darstellen und bereits zu einer großen Zahl von Opfern unter der Zivilbevölkerung geführt haben. Als Ergebnis der Aktionen der Aufständischen wurde eine große Anzahl von ukrainischen Soldaten  eingekesselt, die an der Militäroperation ohne eigenes Verschulden teilnahmen sondern weil sie Befehlen gehorchten”. Er fordert “die Aufständischen auf, einen humanitären Korridor für die umzingelten ukrainischen Soldaten zu schaffen und es ihnen zu ermöglichen, wieder mit ihren Familien vereint werden, zu ihren Müttern, Ehefrauen und Kindern zurückzukehren.

“Russland seinerseits ist bereit und wird humanitäre Hilfe an die Bevölkerung des Donbas liefern, die unter einer humanitären Katastrophe leidet.” Er ruft die ukrainischen Behörden “erneut” auf, unverzüglich jede militärische Aktion einzustellen und “sich mit Vertretern des Donbas an den Verhandlungstisch zu setzen und alle Probleme zu lösen, die sich aufgebaut haben – ausschließlich mit friedlichen Mitteln“.

Sein “Appell” mit Fotos von ihm – in geeigneter Weise betroffen schauend – wurden sofort auf allen russischen Fernsehkanälen ausgestrahlt, und in der Tat wurden die Worte vermutlich vor allem zu diesem Zweck gesagt. Nach seiner Version ist ausschließlich das ukrainischen Militär der Aggressor und verursacht das Leid, und jetzt bitten die barmherzigen Russen die “Aufständischen”, Mitleid mit den untadeligen Soldaten, die ja nur ihren Befehlen gehorchten, und ihren Familien zu zeigen.

Bevor wir uns all das anschauen, was Putin ignoriert, ist es durchaus eine Überlegung wert zu überlegen, warum er glaubt, dass eine solche mündliche Aussage ausreichend sein sollte. Es gab sicherlich knallharte Aussagen bei der UN-Sitzung seitens der US-Botschafterin Samantha Powers – eindringlich wahrheitsgemäß wie eh und je. Außer den US-Politikern hat aber sonst keine Führung eines anderen Landes oder UN-Vertreter auch nur etwas angedeutet, was eine sofortige Aktion nahelegen könnten – oder besser gesagt überhaupt eine Aktion.

Nach Angaben von BBC, sagte der französische Präsident François Hollande, es wäre “untragbar”, wenn die russischen Truppen tatsächlich in der Ukraine wären, und forderte Russland auf, Hilfssendungen für die Rebellen einzustellen.”

Warum die Möglichkeitsform “es wäre”? Will er leugnen, dass es nicht nur NATO-Berichte, sondern reichlich Videomaterial gibt, das er sich ansehen kann?

“Der britische Premierminister David Cameron warnte, falls Russland scheitere, eine politische Lösung zu finden”, sollte es nicht daran zweifeln, dass es weitere Konsequenzen geben wird”.

Warum sollte Russland nicht im Zweifel über eine angemessene Reaktion sein, wenn selbst an einem Tag, an dem unwiderlegbare Beweise einer direkten Beteiligung des russischen Militärs vorliegen, die Reaktion so erbärmlich ist?

Man kann nur hoffen, dass die Antwort in Kürze mehr als nur den Ausdruck der immer größeren “Besorgnis” enthalten wird. Es ist ärgerlich, dass derzeit Putin mehr Aufwand betreibt, um das russische Volk zu täuschen als den Westen.

Er kann auch scheitern. Nicht, weil die Proteste zur Zeit nicht unterdrückt werden können. Große Verdienste haben die wenigen Personen wie Dmitry Monachow, der auf dem Manegenplatz in Moskau mit der Aussage demonstrierte, dass Russlands Aggression illegal ist – und er muss dafür mit einer Haftstrafe zahlen. Es gab nur vereinzelte Stimmen.

Dies kann sich ändern, wenn die Russen zu verstehen beginnen, dass ihre eigenen Soldaten, darunter Wehrpflichtige, entsendet werden, um in einem unerklärten Krieg Russlands zu kämpfen.

Die NATO sprach von weit über tausend russischen Militärangehörigen auf dem Territorium der Ukraine, wobei die an den Kampfhandlungen beteiligten Soldaten über hochentwickelte Waffen verfügen. Laut Walentina Melnikowa, Vorsitzende der Union der Verbände der Soldatenmütter, könnten jetzt insgesamt bis zu 15.000 russische Soldaten in der Ukraine kämpfen. Wie viele davon aber im Moment offiziell im Einsatz sind, sei schwer zu sagen, betont sie. Einige können Verträge über eine Dienstunterbrechung haben oder auf unbezahltem Urlaub sein. Falls letzteres zutrifft, dann wird wohl jemand anderes dafür zahlen, damit sie sich die Zeit nehmen, um in diesem vom Kreml unterstützten und bewaffneten Krieg zu kämpfen.

Es ist ganz klar, dass es ​​derzeit in der Ukraine auch viele reguläre Soldaten im Dienst gibt. Einige sind gefallen, und man hat ziemlich groteske Anstrengungen unternommen, um die Ursache und den Ort des Todes geheim zu halten. Journalisten, die versucht haben, die Wahrheit herauszufinden, wurden mit brutalen Methoden daran gehindert. Dies sowie die Tatsache, dass die Mütter der vom ukrainischen Militär gefangen genommenen Soldaten nichts davon wussten, dass ihre Söhne in der Ukraine kämpfen, zeigt den vollen Zynismus von Putins ‘Appell’ und seiner erklärten Sorge um ängstliche Familienmitglieder.

Putins Behauptung, die ukrainischen Soldaten befänden sich “ohne eigenes Verschulden” dort ist besonders verlogen, wenn man bedenkt, dass unter den in die Ukraine zum Kampf geschickten Russen anscheinend auch Wehrpflichtige sowie Berufssoldaten sind, die keine andere Wahl haben. Melnikowa berichtet, ein junger Mann habe seiner Mutter eine SMS geschickt, dass Oberst Medinskij die Soldaten zum Appell gerufen und aufgefordert habe, einen Vertrag mit der Entsendung nach Luhansk zu unterzeichnen. Der Oberst sagte ihnen, falls sie nicht unterschreiben, dann werde er für sie unterschreiben.

Nach einem Gespräch mit den Eltern von Wehrpflichtigen aus einer Fallschirmjäger-Division in Rjasan glaubt Melnikowa, dass bis zu 250 Wehrpflichtige möglicherweise gezwungen wurden, Verträge zu unterschreiben, denen zufolge sie in der nächsten Woche die Ukraine entsendet werden.

Ähnliche Informationen hat auch Sergej Kriwenko vom Menschenrechtsrat des russischen Präsidenten erhalten. Es ist  nicht klar, ob es besondere Gründe für die Annahme gibt, dass die angeblichen “Übungen” in der Region Rostow nur ein Vorwand sind und ihre Söhne tatsächlich in die Ukraine entsandt wurden, oder ob sie einfach eingesehen haben, dass man den Behörden nicht trauen kann. Sowohl Kriwenko als auch Ella Poljakowa, ein weiteres Mitglied des Menschenrechtsrats haben Zahlen erhalten, die darauf hindeuten, dass am 13. August einhundert russische Soldaten getötet und weitere 300 verletzt wurden.

Man kann jetzt nicht sagen, der russische Führung läge nichts daran, die Wahrheit zu berichten. Am 28. August erklärte Ministerpräsident Dmitri Medwedew, dass Russland “die genaue Zahl der Todesfälle in den Ersten Weltkrieg festellen muss”.

Über Medwedews Priorität auf ein ein Jahrhundert zurückliegendes Ereignis hat der Internetsender TV-Doschd berichtet, der seinerseits eigene Untersuchungen unter dem Titel  “Unsere Soldaten” begonnen hat, um herauszufinden, was los ist mit denSoldaten, die in die Ukraine geschickt wurden.

Ella Poljakowa sagte gegenüber der Nachrichtenagentur Reuters, dass “wenn Massen von Menschen unter Befehl von Kommandeuren, mit Panzern, gepanzerten Truppentransportern und mit Einsatz von schweren Waffen auf dem Territorium eines anderen Landes, jenseits Grenze (sind), dann halte ich das für eine Invasion.”

Putin ist offensichtlich der Ansicht, dass das so funktionieren wird mit der Nichterwähnung des bösen Wortes und mit der Anwendung von allen möglichen Formen von Zwang und Täuschung beim Versuch, die Wahrheit zu verbergen. Tod und menschliches Leid werden aber beweisen, dass er falsch liegt. Wie viel mehr Blut vergossen werden wird und wie viele weitere Leben zerstört werden, hängt nun davon an, wann die westlichen Länder endlich verstehen, dass sie handeln müssen.

Quelle: http://khpg.org.ua/en/index.php?id=1409277104

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1 Response to Die russische Invasion und die Todesfälle, die Putin nicht erwähnt

  1. purzl says:

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