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Ich treffe den Nachbarn aus dem Vorderhaus, den ich an dem Morgen, als um den Maidan gekämpft wurde, gesprochen hatte. „Als Sie damals Brot holen gegangen sind, sind Sie hoffentlich gut wieder nach Hause gekommen?“ frage ich ihn. „Ja, ganz gut.“ sagt er. Und ich: „Es war so ein schrecklicher Tag…“ – „Ja,“ sagt er. „Als ich Brot holen ging, bin ich an acht Leichen vorbei gegangen. Als ich zurück kam, lagen schon zwölf da…“ Mit einem Mal reckt der kleine, gebeugte hagere Mann sich vor mir in die Höhe: „Und Sie? Wie denken Sie über die Ereignisse? Was meinen Sie, wie sich das alles entwickelt?“ – „Ich hoffe sehr auf die Unterstützung durch Europa…“ sage ich zögernd. Denn ich weiß ja, dass mein liebes Europa beliebt, sich zu zieren. „Die ganze Welt muss sich jetzt gegen Putin auflehnen!“ sagt er nachdrücklich. „Denn wer die Ukraine jetzt nicht verteidigt, könnte nur allzu schnell in die Lage geraten, dass auch ihn keiner mehr verteidigt.“
Ich frage Annegrets Geigenlehrerin, wie ihre Woche verlaufen ist. „Ziemlich gedrängt. Wir sind im KMDA aufgetreten.“ KMDA ist das Kiewer Rathaus, das ja lange Zeit der Revolution von Demonstranten besetzt und als Hauptquartier genutzt wurde, während in den oberen Etagen die Verwaltungsarbeit weitergehen durfte. Ich bin ein großer Fan des Ensembles „Swiatograi“, in dem die Geigenlehrerin mitspielt. Es setzt sich aus allen Musiklehrern ihrer Musikschule zusammen und spielt neben klassischen Stücken auch Kompositionen seines Leiters Viktor Dmitrenko und seiner Frau Marina. Beide haben eine wunderbare Art, Klassik und Folklore mitreißend neu aufzuarbeiten. „Schade, dass ich das nicht wusste. Ich wäre gerne gekommen. Ich habe es ja wirklich nicht weit dorthin…“. „Es tut mir so leid, dass ich Ihnen nicht Bescheid gesagt habe!“ sagt sie. „Ich hatte den Kopf mit so vielen Dingen voll, sodass mir gar nicht der Gedanke kam, jemand zu unserem Auftritt einzuladen. Zur Zeit müssen ja auch die Prüfungskonzerte für die Musikschule organisiert werden.“
Ob es das bei uns gäbe, dass das gesamte Lehrerkollegium einer Musikschule seine Kraft zugunsten eines Konzertes zum Wohle der Nation opfert?
