„Außergewöhnliche Lage“ (orf.at)

„Außergewöhnliche Lage“

Quelle: http://orf.at/stories/2220399/2220400/

Russlands Präsident Wladimir Putin hat am Samstag im Parlament die Entsendung von Truppen in die Ukraine beantragt. Er wolle die Armee in dem Nachbarland einsetzen, bis sich die politische Lage wieder normalisiert habe, wurde Putin in einer Erklärung des Kreml zitiert. Nach ukrainischen Angaben wurden bereits 6.000 russische Soldaten auf die Halbinsel verlegt.

Zur Begründung für seinen Antrag an das Oberhaus des Parlaments nannte der Staatschef die „außergewöhnliche Lage“ in der Ukraine und eine „Bedrohung“ für die dort lebenden russischen Staatsbürger. Der prorussische Chef der Regionalregierung auf der Krim, Sergej Axjonow, und der russische Parlamentschef Sergej Naryschkin hatten Putin zuvor zur Unterstützung aufgerufen. „Die Abgeordneten rufen den Präsidenten auf, (…) alle zur Verfügung stehenden Mittel für den Schutz der Bevölkerung auf der Krim vor Willkür und Gewalt zu gewährleisten“, teilte Naryschkin mit.

Karte der Länder um das Schwarze MeerAPA/ORF.at

Scharfe Kritik an der ukrainischen Übergangsregierung

Axjonow warf der ukrainischen Regierung in Kiew vor, die Verfassung der Autonomen Krim-Republik zu verletzen. So sei etwa ohne Mitsprache der Krim-Führung ein neuer Polizeichef ernannt worden, kritisierte der Politiker. Er bat Moskau um Hilfe: „Aus Verantwortung für das Leben und die Sicherheit der Bürger bitte ich den russischen Präsidenten Wladimir Putin um Hilfe bei der Sicherung von Frieden und Ruhe auf dem Gebiet der Krim“, sagte er in einer von örtlichen Medien verbreiteten und im russischen Fernsehen ausgestrahlten Botschaft.

Der ukrainische Übergangspräsident Alexander Turtschinow berief am Samstagnachmittag eine Sitzung mit den Spitzen der Sicherheitskräfte ein. Zuvor verurteilte Turtschinow die Machtübernahme durch Axjonow, der am Donnerstag von den Abgeordneten im besetzten Parlament der Krim zum neuen Regierungschef ernannt worden war. Das Vorgehen sei illegal und verstoße gegen die Verfassung, hieß es in einem Erlass. Die Regierung in Kiew warf Russland zudem vor, Gespräche im Rahmen eines Abkommens zur territorialen Integrität der Ukraine zu verweigern. Darüber sei man sehr besorgt, sagt der ukrainische Außenminister Andrej Deschtschyzja am Samstag laut Interfax.

Klitschko: „Es geht ausschließlich um Provokation“

Der ukrainische Präsidentschaftskandidat Witali Klitschko sprach am Samstag noch vor dem Kreml-Beschluss von einer „unglaublichen Aggression Russlands“. Es handle sich um einen „bewaffneten Einbruch“. „Es geht ausschließlich um die Provokation“, sagte Klitschko am Samstag in einer Video-Liveschaltung zu einer Diskussionsveranstaltung im deutschen Paderborn.

Klitschko betonte, es gebe keinen Konflikt zwischen den Bürgern auf der Krim. Die Mehrheit der Ukrainer strebe nach westlichen Werten. Reformen seien dringend notwendig, sagte Klitschko bei der Veranstaltung der Konrad-Adenauer-Stiftung und der Bertelsmann Stiftung. Die Ukraine gelte als eines korruptesten Länder Europas. Es gehe um Reformen in der Wirtschaft, in der Verwaltung, bei den Medien. „Internationale Hilfe ist sehr, sehr wichtig.“

Referendum über Status wird vorverlegt

Ein geplantes Referendum über den künftigen Status der autonomen Region wurde kurz vor dem Beschluss des Militäreinsatzes um knapp zwei Monate vorverlegt. Die Bewohner der russisch geprägten Halbinsel sollen am 30. März über die Autonomierechte der Krim abstimmen, wie eine Sprecherin Axjonows in Simferopol erklärte. Ursprünglich hatte das Krim-Parlament beschlossen, die Abstimmung am 25. Mai parallel zur Präsidentschaftswahl in der Ukraine zu organisieren.

Russlands Präsident Wladimir PutinAPA/AP/RIA-Novosti/Alexei Druzhinin/Presidential Press Service

Putin wolle die Armee einsetzen, bis sich die Lage „normalisiert“ habe, hieß es in einer Erklärung des Kreml

Beschluss trotz Warnungen aus USA und Europa

US-Präsident Barack Obama hatte Putin Freitagabend (Ortszeit) vor einem militärischen Eingreifen gewarnt. Jede Verletzung der Souveränität und territorialen Integrität der Ukraine werde einen „Preis“ haben, sagte Obama. Auch andere westliche Regierungen hatten Russland zur Zurückhaltung aufgefordert.

Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel (CDU) sagte am Samstag bei einer Veranstaltung der EU-Kommission in Berlin, es müsse alles getan werden, damit die territoriale Integrität des Landes gewahrt bleibe. Sie fügte hinzu: „Das, was wir auf der Krim erleben, das besorgt uns.“ Merkel machte deutlich, dass sie unter anderem mit den Verantwortlichen in der Ukraine sowie mit Russlands Präsident Putin in telefonischem Kontakt stehe. Man müsse in diesen Tagen dem Willen des ukrainischen Volkes nach Freiheit und Demokratie alle Unterstützung geben.

Angst vor umstrittenem Sprachengesetz

Die ukrainische Führung will offensichtlich darauf verzichten, durch die Abschaffung von Russisch als zweiter Amtssprache die russische Minderheit im Lande und Moskau zu provozieren. EU-Kommissionspräsident Jose Manuel Barroso sagte auf der Veranstaltung in Berlin, der neue ukrainische Regierungschef Arseni Jazenjuk habe ihm versichert, das Sprachengesetz nicht umsetzen zu wollen. Barroso machte deutlich, dass er diesen Schritt begrüße.

Der deutsche Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) verlangte von Moskau, unverzüglich Klarheit über die russischen Ziele auf der Krim zu schaffen. Er sprach von einer gefährlichen Entwicklung: „Wer jetzt weiter Öl ins Feuer gießt, mit Worten oder Taten, setzt bewusst auf Eskalation.“

Warnung vor „wachsendem russischen Druck“

Der polnische Präsident Bronislaw Komorowski sagte der Ukraine Unterstützung und Solidarität angesichts des „wachsenden russischen Drucks“ zu. Komorowski habe sich telefonisch bei Übergangspräsident Turtschinow für die Zurückhaltung der Ukraine bedankt, die sich nicht zu einer militärischen Konfrontation provozieren lasse. Er verurteilte alle Versuche, die Lage in dem Ex-Sowjetland zu destabilisieren. Die jüngsten Entwicklungen seien eine Bedrohung für die ganze Region. Komorowski bot der ukrainischen Seite eine enge Zusammenarbeit mit dem polnischen Nationalen Sicherheitsbüro (BBN) an.

Auch Frankreich war nach den Worten von Außenminister Laurent Fabius „außerordentlich besorgt“ über Berichte, in denen von beträchtlichen Truppenbewegungen auf der Krim die Rede war. Alle Seiten müssten alles vermeiden, was die Spannungen verschärfen und die territoriale Integrität der Ukraine antasten könnte, erklärte Fabius am Samstag in Paris. Es müsse alles unternommen werden, um eine politische Lösung der Krise zu erreichen. Fabius sagte, er stehe in engem Kontakt mit den ukrainischen und russischen Behörden, ebenso wie mit den wichtigsten europäischen Partnern.

Regionale Regierungsgebäude besetzt

Auf der überwiegend von ethnischen Russen bewohnten Krim hatten prorussische Milizen am Donnerstag zunächst den Sitz von Regionalregierung und Regionalparlament besetzt. Sie vertrieben regierungstreue Kräfte, die das Haus im Zuge monatelanger Massenproteste in Kiew besetzt hatten. Aktivisten hissten auf dem Gebäude die russische Flagge und die Fahne der ostukrainischen Stadt Charkiw (russisch: Charkow). „Charkow und Russland!“ riefen sie bei der Aktion.

Am Freitag übernahmen Soldaten in einheitlichen Uniformen ohne Erkennungszeichen dann auch die Kontrolle über zwei Flughäfen. Am Samstag positionierten sich bewaffnete und maskierte Männer zudem vor dem Parlamentsgebäude in Simferopol. Die Polizei schritt nicht ein. Auch in anderen russischsprachigen Regionen gab es Proteste gegen die neue Regierung in Kiew mit teils schweren Handgemengen. Experten hatten immer wieder vor einer Spaltung der Ex-Sowjetrepublik gewarnt.

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