46 Millionen Provokateure

46 Millionen Provokateure
Viktorija Narizhna, Übersetzerin, Autorin, speziell für Ukrainska Pravda
20.01.2014

Die Schlacht von Jordanien auf der Hrushevskoho Straße zeigt sehr deutlich – zumindest für mich – was den Unterschied zwischen Provokateuren und bis zum Rand aufgebrachten Bürgern ausmacht.

Provokateure schwingen Ketten, bis zum ersten Anzeichen von einem Kontern durch die Polizei. Ein Moment bevor der Menge die “Berkut”-Truppe mit Schlagstöcken in den Händen überrannt verschwinden die Provokateure, lösen sich in der Menge auf. Deshalb wurde am 1. Dezember kein einziger Draufgänger mit einer Kette oder Armaturen auf der Bankova Straße festgenommen.

Zornige Menschen stellen sich stattdessen dem Kampf. Zornige Menschen haben nicht nur keine Angst – sie sind fast begierig mit Siherheitskräften im Handgemänge zu kämpfen. Zornige Menschen
hören auf die Stimme der Venunft zu hören, sondern hören nur noch auf die Stimme des einfachen und alten Instinktes.

Der Instinkt sagt ihnen, dass der Feind jetzt hier draufkriegen soll, mit Zähnen und Fäusten, um zu zeigen, dessen Gebiet es ist. Um zu zeigen, wer hier der Hausherr sei. Daher, als sie einen böse draufblickenden Berkut-Soldaten mit Schlagstock sehen, weichen die aufgebrachten Menschen nicht zurück, sondern treten ihm entgegen.

Ich denke, eine große Menge Leute erlebt diese Tage mit sehr gemischten Gefühlen.

Auf der einen Seite, die vom Feuer und gezündeten Flash-Granaten beleuchtete Hrushevskoho Straße erfüllt mit dem Schall der Schlacht-Trommeln und dem Lärm der Explosionen – ein sehr beunruhigender Anblick, der so schwer mit der Ukraine zu verleichen ist, die wir kennen, und der zu viel einer Kriegsstadtlandschaft ähnelt.

Auf der einen Seite, von einer Granate abgetrennte Hand eines unbekannten jungen Mannes.

Auf der einen Seite, hunderte Verletzte auf beiden Seiten der Konfrontation.

Aber auf der anderen Seite – jeder von uns, der nicht auf Hrushevskoho die Flaschen mit Molotov-Coctails geworfen hat, der vielleicht nie zur Hrushevskoho gegangen ist, um Gottes willen, kann soweit verstehen, was diese verärgerten Menschen fühlen. Sie verstehen, warum diese Menschen nicht von einem Regen aus Granaten und Gummigeschossen wegzukommen versuchen, von den eisigen Wasserstrahlen und erstickenden Wolken aus Gas .

Wenn die gewalttätige Konfrontation auf Hrushevskoho begann, und die Eskalation wuchs, stellte jemand im Hromadske Fernsehsender (man denke, es war Skrypin ) eine interessante Frage. Die Verfassung der Ukraine verbietet die Usurpation der Macht, aber welches Gesetz der Ukraine bestimmt,was können rechtlich die  Bürgerinnen und Bürger tun, wenn diese Macht usurpiert wurde? mit welchen mitteln können sie dagegen ankämpfen? Wie weit müssen sie gehen, um Freiheit ihres Landes zu schützen?

Ein sehr von mir geschätzter FB-Nutzer Carl Volokh schrieb eine Status-Mitteilung von dem, welche unsichtbare für das ungeübte Auge und wichtige Verbindung steckt zwischen den Straßenschlachten und Sanktionen durch den Westen,auf die wir alle von ihnen so warten. Und in dieser Meldung gab es für mich einen sehr wertvollen Gedanken: von der Sicht der westlichen Politik und Gesellschaft das, was auf Hrushevskoho passiert – logisch und gerechtfertigt.

Viele Leute – und ich bin unter ihnen – waren besorgt, dass die Gewalt auf den Straßen uns in den Augen der Europäischen Gemeinschaft diskreditieren wird. Doch in der Tat, das Motto “Es dürfe bloß nur kein Krieg geben” – eine typisches sowjetisches Motto, das Europäern nicht bekannt ist.

Lasst sie über uns trampeln und ihre Füße an uns wischen – bloß kein Krieg.

Lasst sie mit den Füßen die Verfassung zertreten – bloß kein Krieg.

Lasst sie Milliarden von unserem Geld stehlen  – es dürfe bloß nur kein Krieg geben. Lieber sterben wir von Hunger und Armut – aber in Ruhe und Frieden.

Die Europäischen Gemeinschaften verstehen gut, dass, wenn die Regierung schon seit 2 Monaten nicht auf friedlichen Protest reagiert, an denen Hunderttausende von Bürgern teilnehmen, genau gesagt, reagiert unnötig brutal mit “Säuberungs-Aktionen” und der Verabschiedung der verfassungswidrigen Gesetze, kann der Protest nicht mehr friedlich sein.

Weil man Leute nicht bis an den Rand bringen darf. Es ist gefährlich an den freien Menschen seine Füße zu wischen.

Deshalb der Begriff “Provokateure”, hinter dem Jazenjuk und Tyagnibok sich so hastig versteckt hatten, wegen ihres eigenen Scheiterns, die Opposition zu führen und sie in eine konstruktive Richtung zu lenken – zu den Menschen auf Hrushevskoho nicht passt.

Ein Alter mit seinen 70 Jahren mit einem langen Stock in der Hand – hinkt unsicher, sieht man, läuft auch ohne seinen schweren Schlagstock in der Hand nicht gut – der hartnäckig mit dem Stock zwischen den Schilden der Soldaten stöchelt.

Nicht weniger alte Frauen mit Gesichtern der friedlichen Hausfrauen, die die Pflastersteine den jungen Menschen mit vermummten Gesichtern reichen.

Ebenso ältere Frauen, die auf das Schlagen auf die provisorischen Trommeln stundenlang konzentriert sind und die in einem unheimlichen Rhytmus auf der Straße Alarm schlagen.

Wieder ein älterer Mann, ein Trompeter (*aus Charkiw), der die Hymne der Ukraine, spielt “Feuerband für Feuerband” (*bekanntes Lied), spielt und spielt – und wo nur kann er so viel Luft in seine Lungen aufnehmen, wenn sie nur voll mit Gas  zu sein scheint?

All diese Leute – Ultras? Junge Heißsporne? Bezahlte Provokateure? Wo Sie solche bezahlten Provokateure gesehen haben, die schon mehr als einen Tag in der Hölle kämpfen und haben nicht vor, davon abzuweichen?

Die einfache Wahrheit, dass wenn ein freier Mensch letzendlich die Ruhe verliert, wenn ihm willkürlich seine Freiheit weggenommen wird – war, leider, unverständlich nicht nur der Regierung, sondern auch für die Opposition. Mit “heroischen” gemeinsamen Anstrengungen, mit krimineller Tätigkeitund nicht weniger krimineller Untätigkeit, haben sie zu diesem Ergebnis geführt.

Und wenn man daraus keine relevanten Schlüsse zieht,  so fürchte ich, wird es in der Ukraine in einigre Zeit 46 Millionen Provokateure geben.

* – Bemerkung des Übersetzers

Quelle: life.pravda.com.ua/columns/2014/01/20/149096/?fb_action_ids=10203078079496901&fb_action_types=og.recommends&fb_source=other_multiline&action_object_map=[681712685184981]&action_type_map=[“og.recommends”]&action_ref_map

Bild: Frauen, die Tag und Nacht auf den improvisierten Trommeln schlagen.

Women "baraban" drumming on metal sheets, all day and night

Women “baraban” drumming on metal sheets, all day and night

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