Charis Haska: Wie sehr wünsche ich mir im Westen mehr Verständnis für die Ukrainer!

Charis Haska: Wie sehr wünsche ich mir im Westen mehr Verständnis für die Ukrainer!

Quelle: https://www.facebook.com/charis.haska/posts/623594124373949?stream_ref=10

Gott sei Dank!

Einer unserer ukrainischen Freunde schieb heute: „Als meine Frau in den neunziger Jahren in die Ukraine kam, sagte jemand: <Jetzt im Moment ist ein kleines Zeitfenster der Freiheit geöffnet. Nützt es gut, solang es offen ist.> Nun sieht es ja ganz so aus, als ob es bald zugeworfen wird.“ Ich bin Gott dankbar für diese gläubige Familie, in deren Gebeten eine große Kraft liegt.

Als ich vorhin den Hund ausführte, sah ich wieder den Krankenwagen vor der Kirche vorfahren. Gott sei Dank können einige der Patienten in Europa behandelt werden… Seit gestern haben wir über dem Eingang auch endlich ein richtiges Rotkreuztransparent statt des selbstgebastelten Lakens mit roten Plastikstreifen hängen. Valera hatte mir gestern dazu ganz stolz gesagt: „Jetzt wird die erste Frage aller Besucher ausbleiben: Was soll das sein? Eine georgische Kirche?“ Eine der Ärztinnen hat heute ein paar Abschiedsfotos ins Netz gestellt, von Patienten, die zur Behandlung nach Estland reisen. Es war auch ein Bild von einem Geheilten dabei, der den Ärztinnen zum Dank Blumen brachte.

Unterwegs sah ich in der Nachbarschaft der Kirche eine Gruppe gestylter junger Frauen, die fröhlich vor einem Hauseingang standen. Ein paar Schritte weiter erblickte ich durchs Fenster einen riesigen Bund Luftballons und konnte mir vorstellen, dass die Damen die Mütter eines Kindergeburtstags waren. Gott sei Dank stehen nun schon einige Wochen keine vorsintflutlichen Armeelastwagen mehr direkt an der Wand dieser Wohnung. Tag und Nacht hatten sie Lärm, Dieselgeruch und Bedrohung verbreitet, weil sich ein Präsident hatte schützen müssen.

Abends sieht unser Haus oft aus wie ein Adventskalender, einige Fenster der malerischen Fassade sind beleuchtet und lassen Neugierige wie mich raten, was sich hinter ihnen verbirgt. Das Fenster von Anjuta, unserem Nachbarsmädchen, mag ich besonders gerne. Ich sehe, dass sie zwei mittelgroße Gemälde im Zimmer hängen hat, vermutlich doch noch von ihrer Babuschka Kira, einer gebildeten, herzkranken Dame, die vor anderthalb Jahren verstorben ist. Anjuta sitzt wieder mit angezogenen Beinen auf dem Fensterbrett, in ihre Lektüre vertieft. Gestern hatte sie mir voller Vorfreude erzählt, dass sie heute zum ersten Mal zum Deutschkurs ins Goetheinstitut geht. Ich rufe ihr zu:“Hallo, Anjuta, wie geht es Dir?“ Schwungvoll öffnet sie das Fenster und neigt sich zu mir herunter. Sie hat heute so viel Spaß am Deutschunterricht gehabt! „Das ist doch was ganz Anderes. In der Schule haben wir immer nur geschrieben und Grammatik gelernt. Aber im Goetheinstitut lernen wir richtig, uns zu unterhalten. Ach, wie gerne möchte ich ein deutsches Buch im Original lesen können!“ Wir plaudern ein wenig über das, was wir gerne lesen.

Dann sagt sie: “Ich freu mich so, dass das Assoziierungsabkommen unterschrieben worden ist. Jetzt wird es endlich Verbesserungen geben.“ Ich freue mich mit ihr und denke an einen Facebookeintrag vom November, in dem eine junge Ukrainerin sinngemäß an uns Europäer schrieb: „Wir wissen sehr wohl, dass Ihr in den europäischen Staaten auch mit großen Problemen zu kämpfen habt. Nein, wir haben nicht vor, Euch die Arbeitsplätze wegzunehmen, oder uns in Eure soziale Hängematte zu legen. Das, was wir uns von Europa wünschen, ist, dass unseren Regierenden auf die Finger geschaut wird, damit sie aufhören, in die eigene Tasche zu wirtschaften.“

Als ich euch schon einmal von Anjuta schrieb, habe ich mich gescheut, ihren Namen zu nennen, aus Angst, ihr könne Schaden entstehen, wenn ich ihren Wunsch so öffentlich weitergebe. Gott sei Dank kann ich das heute ohne solche Befürchtungen tun!

Später am Abend übe ich Geige. Die Fernheizung hat sich den Außentemperaturen noch nicht angepasst, in der Wohnung ist es unerträglich heiß. So spiele ich bei geöffnetem Fenster. Als ich fertig bin und das Fenster schließe, tönt von unten wunderbare Musik hoch. Jetzt übt Anjuta Klavier und ich fühle mich in die Philharmonie versetzt.
Ein Satz aus meinem Gespräch mit ihr klingt in mir noch nach: „Hauptsache, es gibt keinen Krieg!“ Aus dem Munde dieser erfrischenden, aufgeschlossenen Sechzehnjährigen erschüttert er mich sehr.

Wie sehr wünsche ich, dass ihre Hoffnung nicht enttäuscht wird, wie sehr wünsche ich, dass Europa die Ukraine in ihrer demokratischen Entwicklung kräftig unterstützt. Wie sehr wünsche ich mir im Westen noch mehr Verständnis für diese wunderbaren Ukrainer!

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